FES-Wochenende in Tirol

Mittwoch-Nachmittag am Münchner Hauptbahnhof: gerade mal zwei FES-ler besteigen den Regionalexpress nach Kufstein. Zusätzlich hat einer seinen Freund mitgebracht. Aber der klägliche Eindruck täuscht: es kommt noch einer hinzu, der das Wochenende in seine Österreich-Rundfahrt eingebaut hat und am Freitag Morgen folgt einer aus München nach. Da gelegentlich auch unsere Tiroler Freunde hinzustoßen erreicht die Gruppe doch noch eine brauchbare Größe.
     Mit dem letzten Zug der Zillertalbahn erreichen wir Fügen. Untergebracht sind wir in einem Hotel, das gezielt in den schwulen Publikationen Werbung macht und im Winter Ski-Wochen speziell für Schwule anbietet. Hier braucht sich also keiner verstecken. Da aber neuerdings kein Essen mehr angeboten wird, wurde das Hotel zur Pension herabgestuft. Es ist aber modern eingerichtet und sehr sauber.
     Nachdem es nichts zu Essen gibt müssen wir uns notgedrungen auf die Suche nach Essbarem machen. Unter Donnergrollen erreichen wir ein schönes Restaurant in der Nähe.

Am Donnerstag nehmen wir die Zillertalbahn unter die Lupe. Mit dem Schmalspur-Dampfzug (760 mm) fahren wir bis Mayrhofen. Unterwegs können wir die Rollbock-Wagen bewundern, mit denen ein Teil des durchaus beträchtlichen Güterverkehrs auf der Strecke abgewickelt wird. Normalspurige Güterwagen werden auf die Schmalspur-Rollböcke gefahren und gesichert. Die abenteuerliche Konstruktion wird dann zu Zügen gekuppelt. Wenn man das sieht zweifelt man unweigerlich an den Naturgesetzen und wundert sich, warum das Gebilde nicht spätestens bei der ersten Kurve einfach umfällt.


Dass das nicht umfällt?! Voll beladene Normalspur-Güterwagen auf 760mm-Rollböcken
  
     Die sommerliche Hitze wird allmählich unerträglich. Das steilste Stück des Weges zur vorgesehenen Wirtschaft ist in der prallen Sonne. Deshalb beschließen wir, die eher allmählich ansteigende Straße durch den Wald, auf der aber ohnehin kaum Verkehr ist, zu nehmen.
     Im idyllisch gelegenen Gasthof „Zillergrund“ gibt es Mittagessen. Kaum sind wir fertig, erscheint ein „Quetschen“-Spieler. Musikalisch behauptet er, dass er der „Anton aus Tirol“ sei und dass er der Schönste sei. Zumindest beim letzten Punkt sind wir anderer Meinung und als Text-Zettel verteilt werden, mit denen das Publikum zum Mitsingen aufgefordert wird, verlassen wir fluchtartig die trügerische Idylle.
     Trotz der Hitze gehen wir weiter in das Tal hinein. Das Klima auf den Alm-Wiesen erinnert an einen Hochofen-Anstich. Glücklicherweise verläuft aber der größte Teil des Weges im Wald. Nach einer dreiviertel Stunde haben wir genug und lassen uns an einer Lichtung nieder.
     Nach einer Stunde Pause geht es auf dem gleichen Weg zurück, über die Hochofen-Wiese und vorbei am nervigen „Anton“. Freilich gibt es noch irgendwo ein Eis und weil der Dampfzug schon weg ist, fahren wir mit einem der moderneren Triebzüge, die wie eine dieselgetriebene Straßenbahn wirken, zurück nach Fügen.

Am Freitag geht es in die andere Richtung. Mit dem planmäßigen Zug der Zillertalbahn fahren wir nach Jenbach, dort steht schon die dampfbetriebene Zahnradbahn zum Achensee bereit. Die Lokomotive schiebt die zwei Personenwagen über 400 Höhenmeter bergauf. Der „Steuerwagen-Führerstand“ ist eine offene Plattform, an der eine Schnur herunterhängt, mit der der Zugführer Signale an den Lokführergibt, der diese dann in „Langsamer“, „Schneller“ oder „Pfeifen“ umsetzt. Das gibt an den wenigen Bahnübergängen auf der Strecke ganz schön abenteuerliche Manöver.


Das Bild hängt nicht schief! Die Lok der Achensee-Zahnradbahn ist schief
  
     In Eben, dem Scheitelpunkt der Strecke, kommt die Lok nach vorne, auf der nur leicht abschüssigen Strecke zum See wird ganz normal gefahren. Beim Rückweg bleibt die Lok vorne, so dass sie aus Sicherheitsgründen auf dem steilen Zahnstangenabschnitt (System Riggenbach) immer am talseitigen Ende des Zuges fährt.
     Mit einem ebenso modernen wie hässlichen Schiff geht es den See entlang bis zur Gais-Alm.
     Das abgebrannte Wirtshaus ist inzwischen wieder aufgebaut worden. Als wir im Herbst ´98 zum letzten Mal da waren, konnten wir uns in einer provisorischen Jausen-Station gut und preiswert stärken. Leider hat das neue Haus das Ambiente einer mittelmäßigen Kantine, das Essen ist absolut miserabel und die Preise astronomisch. Wir sind einhellig der Meinung, dass wir hier nicht mehr herkommen wollen.
     Doch auch das Wegkommen wird problematisch. Das Schiff ist gerade weg und es regnet in Strömen. Zwar war das Wochenende ausdrücklich „ohne Gewalt-Märsche“ ausgeschrieben, da aber doch nur wieder die Wanderfreunde mitgefahren sind, entschließen wir uns, nicht auf das nächste Schiff zu warten, sondern Schirme und Jacken auszupacken und uns mehr oder weniger geschützt den Wassermassen auszusetzen. Nach eineinhalb Stunden erreichen wir – ziemlich nass – Pertisau. Wir flüchten ins Café. Kaum sind wir drin hört der Regen auf.
     Nachdem wir uns gestärkt haben, wird der Bus, der zur Zahnradbahn zurückfährt, verschmäht. Lieber laufen wir die langweilige Piste an der Straße entlang. Immerhin können wir eine Kuh, die im Heidelbeer-Gestrüpp weidet, beobachten und wir fragen uns, ob da wohl der Heidelbeer-Joghurt herkommt...
     Die Talfahrt ist weniger spektakulär, und da die Dampfbahn reichlich Verspätung hat, ist auch der letzte Zug nach Fügen weg. Aber es gibt ja noch den „flexiblen Bus“, der uns fast direkt vorm Hotel absetzt.

Am Samstag steht die Fahrt nach Innsbruck mit den beiden Abstechern zur Igler Bahn und zur Stubaitalbahn auf dem Programm. Beim Frühstück hören wir aus dem Radio, dass die Brennerautobahn gesperrt ist, weil etliche Umwelt-Initiativen gegen den Transit-Auto-Wahn protestieren. Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen. Geschickt bauen wir das ins Programm ein: von Innsbruck mit der Igler Bahn raus, zu Fuß über die gesperrte Europa-Brücke und dann mit der Stubaitalbahn wieder rein. Diese Tour kann man so nicht oft machen.


Traditionszug der Igler Bahn in Igls
  
     Das Wetter ist wieder besser. Zur Fahrt nach Igls erwischen wir den Traditionszug, der stilechtes Trambahnfahren ermöglicht. In endloser Kurverei geht es durch den Wald, vorbei an Orten mit lustigen Namen wie „Tantegert“, hinauf nach Igls.
     Schnurstracks laufen wir zur Autobahnauffahrt in Patsch. Allzuviel Zeit sollten wir nicht verlieren, weil um 15 Uhr die Autobahn wieder freigegeben wird. Wir folgen den weit ausholenden Bögen der Straße. So eine Autobahneinfahrt ist ganz schön lange, wenn man zu Fuß drauf herumläuft. Mit erhobenen Häuptern marschieren wir durch die verlassene Mautstelle. Da kommt ein Gefühl auf: so ähnlich wie damals, als wir nach dem Fall der Mauer zum ersten Mal das Brandenburger Tor passierten.

Feindliches Revier erobert: Eisenbahnfreunde auf der Autobahn-Europabrücke
  
     Endlich sind wir auf der Autobahn, umgeben von Radfahrern, Skatern, Kindern, Hunden – nur keine Autos. Nur der Linienbus und einige Polizei-Autos fahren noch. 190 Meter ist die Brücke hoch, unten sehen wir ganz winzig einen Zug, das einzige noch funktionierende Verkehrsmittel auf der wichtigsten Alpen-Querung.
     Die Idee, auch noch den anschließenden Autobahn-Tunnel zu durchwandern, wird von den meisten abgelehnt. Außerdem fährt gerade der Bus nach Fulpmes, der Endstation der Stubaitalbahn.

Straßenbahn auf dem Land: Stubaitalbahn in Fulpmes
  
     Erst holen wir das verspätete Mittagessen nach, dann fahren wir mit der Stubaitalbahn zurück nach Innsbruck.
     Die Hungerburgbahn ist bereits zu, so dass wir nur die merkwürdige Innbrücke bewundern können.
     Bei der Rückfahrt erwischen wir eine fast völlig mit Reklame zugeklebte Straßenbahn. Offensichtlich stören die Fenster die Werbefläche, da sie auch zugeklebt wurden, allerdings mit einer Lochrasterfolie, die von außen undurchsichtig aussieht, aber immerhin noch etwas Licht durchlässt und von innen gerade noch punktförmige Fragmente der Landschaft freigibt. Ein ortskundiger Fahrgast kann gerade noch erkennen, wo er ist, das Betrachten von Details aus der Trambahn heraus oder gar das Lesen von Schildern (z.B. an den Haltestellen) ist dagegen unmöglich. Spätestens nach drei Stationen beginnen die Augen zu tränen, falls man versucht von draußen mehr als nur die groben Umrisse zu erkennen.

Will man da noch mitfahren? Fast völlig zugeklebter IVB-Bus
  
     Personen, die zu Augenflimmern oder Kopfweh neigen, sollten eine Fahrt mit diesen Reklame-Monstern unbedingt vermeiden, für Touristen, die was von der Stadt sehen wollen, sind die Fahrzeuge völlig ungeeignet. In den nur teilweise verklebten Wagen kann man gut erkennen, dass selbst der Dauer-Fahrgast, der nicht unentwegt aus dem Fenster guckt, die Konfrontation mit der Lochrasterfolie meidet. Als erstes wird der reklamefreie Teil des Zuges besetzt und erst wenn da absolut kein Platz mehr ist, füllen sich die anderen Plätze. Der eine oder andere steigt bestimmt auch gar nicht mehr ein. Da inzwischen nahezu der ganze Fuhrpark zugeklebt ist, stellt sich die Frage, ob man nicht zukünftig gleich ein anderes Verkehrsmittel wählt.
     Komisch: Plötzlich ist diese extreme Verschandelung der Busse und Bahnen keine „Sachbeschädigung“ mehr...
     Nach dieser Erfahrung ist ein Besuch der „Szene“ vorgesehen, der aber mangels „Szene“ ausfällt. Lieber verbringen wir den Abend in geselliger Runde in irgend einem Beisl.
     Als wir gegen 23 Uhr wieder in unser Dorf zurückkehren wollen, werden wir massiv mit den Problemen des ÖPNV auf dem Lande konfrontiert. Wir kommen zwar problemlos noch nach Jenbach, aber das schon lange bestellte Taxi kommt nicht. Allerdings konnten wir auch nur auf die Mailbox eines Händi-Anschlusses sprechen, da hat man freilich keinerlei Rückmeldung, ob das überhaupt jemand abhört. Nachdem wir 20 Minuten vergeblich warten, stellen wir mit Freude fest, dass es hier in den Telefonzellen noch richtige Telefonbücher gibt, aus denen man richtig was heraussuchen kann, sobald man des Lesens mächtig ist. Hier ist die Auskunfts-Abzockerei noch nicht so fortgeschritten wie in der Service-Wüste Deutschland. Wir wissen, dass neben unserem Hotel ein Taxi-Unternehmen ansässig ist. Der Rest verläuft problemlos.

Am Sonntag fahren wir eine Stunde früher als im Programm ausgedruckt über die immer wieder faszinierende Karwendel-Bahn zurück nach München.