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Die Akte Eschede
Das Unglück von Eschede gilt nun als
aufgeklärt. Der stern berichtete im Heft Nr. 34 vom 16.8.
ausführlich über das Ergebnis.
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So wird auch der Zug mit der Betriebsnummer
151, der als ICE Wilhelm Conrad Röntgen am 3. Juni 1998
in Eschede verunglücken wird, in der Nacht zuvor im Münchner ICE-Werk
einer planmäßigen Inspektion unterzogen. Bei dem Rad, das am
nächsten Tag brechen wird, weisen die Messergebnisse der so genannten
ULM (Ultraschall-Lichtschnitt-Messung) so viele Alarmwerte auf, dass niemand
sie glauben mag. Da die ULM immer schon äußerst unzuverlässig
gearbeitet habe und solche Ausschläge ständig aufgetreten seien,
so eine Disponentin in ihrer Aussage, sind wir davon ausgegangen, dass
es sich um Fehlmessungen handelte. So viele Grenzwertüberschreitungen
kann es eigentlich nicht geben.
Eine genauere Untersuchung des Rades hätte
zu einer Auswechslung des Drehgestellt führen müssen. Schließlich
war es bereits vorher mehrmals aufgefallen. Ein ICE-Betreuer, der am 30.
Mai mit dem Zug Nummer 151 gefahren ist, kann sich noch genau
an die Fahrt erinnern, speziell an den Wagen 1. Auf der Fahrt von Stuttgart
nach Mannheim hat der Wagen bei einer Geschwindigkeit von 250-280 km/h immens
geholpert. Der Schaffner gibt seine Beobachtungen wie vorgeschrieben
in den Bordcomputer ein.
Doch in der Nacht in München wird dem
Rad trotz aller alarmierenden Messwerte und Vorwarnungen keine weitere Beachtung
geschenkt. Durch den gerade durchgeführten Fahrplanwechsel sind nicht
wie sonst acht Züge pro Nacht zu kontrollieren, sondern 13, und das
mit reduziertem Personal es ist Pfingstferienzeit. So werden nur
Fehlermeldungen, die mit höchster Priorität eingestuft sind,
abgearbeitet. Um auffällige Räder kümmert man sich nur, wenn
sie unter Speisewagen installiert sind, denn im Speisewagen macht sich
die Unrundheit viel stärker bemerkbar als in anderen Wagen, sagt
die Disponentin aus.
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Dem Artikel ist auch zu entnehmen, dass die Radreifen etwas
überstürzt wegen des unruhigen Laufs der ursprünglich verwendeten
Voll-Räder eingeführt wurden, das Nürnberger
Werkstätten-Personal aber zumindest regelmäßige
Ultraschall-Untersuchungen durchgesetzt hat.
Trotzdem kommt mit den neuen Radreifen zu
Unregelmäßigkeiten. Deshalb wendet sich die DB an den Hersteller.
Eine Berechnung oder Untersuchung der [im Betriebseinsatz entstehenden]
physikalischen Kräfte findet dennoch nicht statt. Stattdessen reduziert
das Dezernat 35 auch noch das Grenzmaß, bis zu dem das Rad abgefahren
werden darf: auf 854 Millimeter Durchmesser, 66 Millimeter weniger als beim
Neuzustand. Die Gutachter der Staatsanwaltschaft halten einen Durchmesser
von 880 Millimetern für das absolute Mindestmaß. Das Rad, dessen
Bruch zur Katastrophe führte, maß 862 Millimeter.
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Gegen zuletzt drei Beschuldigte hat die
Lüneburger Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
Anklage soll bald erhoben werden gegen:
Dr.-Ing. Thilo von M., 66. Der ehemalige Leiter des Dezernats 35
(das waren die, die das zu starke Abfahren genehmigten) ist inzwischen im
Ruhestand.
Volker F., 55. Der Bundesbahnamtsrat hatte im Dezernat 35 die
Entwurfszeichnungen geprüft und abgesegnet.
Franz M., 53. Er war Leiter der Abteilung Konstruktion und
Berechnung beim Radhersteller VSG in Bochum.
Die Ermittlungen im Münchner ICE-Werk
wurden trotz aller Erkenntnisse eingestellt. Den Bahnmitarbeitern rund um
Werkleiter Reinhard L. könne kein strafrechtlich relevantes
Fehlverhalten angelastet werden. Ebenso hat die Staatsanwaltschaft
das Verfahren gegen [ICE-Planungschef] Ronald Heinisch [er hatte
die Einführung des Radreifens durchgesetzt] eingestellt, den einige
wie Rechtsanwald Geulen für den Hauptverantwortlichen halten. Die Ermittler
sind sicher, dass Heinisch sich lediglich auf das Urteil seines Technik-Dezernats
verlassen habe. Er habe die Risiken des Radreifens nicht von allein erkennen
können. Der damalige Forschungschef, der immer wieder auf eine schnelle
Lösung des Brummproblems gedrängt hat, ist inzwischen
zum Vorstand der DB Netz AG aufgestiegen.
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Kommentar:
Es kann sich bestimmt noch jeder daran erinnern,
wie unruhig die ICEs nach ihrer Einführung gefahren sind. Das Problem
musste gelöst werden. Die gummigepufferten Radreifen sind dann wohl
etwas überstürzt eingeführt worden und es scheint
tatsächlich manches nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen sein.
Wäre so ein Unglück ziemlich bald danach geschehen, so wäre
die Denkweise der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall korrekt.
Doch immerhin sieben Jahre waren die Dinger
im Einsatz, haben Millionen von Kilometern gute Arbeit geleistet und im Laufe
der Zeit so, wenn auch etwas verspätet, ihre grundsätzliche
Tauglichkeit bewiesen.
Statt die Ursachen bei der unglaublichen
Schlamperei zu suchen, wird nun das ganze Radreifen-System in Frage gestellt
und deren Schöpfer sollen ins Gefängnis wandern.
Während nun die ICEs wieder auf
Voll-Rädern durch die Gegend rattern, ist die Bahn einem Kostendruck
unterworfen, der hauptsächlich durch die angestrebte
Börsenfähigkeit verursacht wird. Da liegt es doch nahe, Grenzwerte
für abgefahrene Räder zu verringern, Wartungsintervalle zu
verlängern und Personal in den Werkstätten abzubauen, was letzten
Endes unweigerlich zur Schlamperei führt.
Hat denn noch keiner gemerkt, dass Bahnreform
mit Aktienwahn auch ein Sicherheitsrisiko ist?
Peter
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