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PEP aufpeppen!
Ein sog. Preis- und Erlösmanagement
Personenverkehr (PEP) soll uns in der zweiten Jahreshälfte 2002
eine völlig neue Struktur der Bahnpreise bringen. Bereits im Vorfeld
gab es neben euphorischen Pressemitteilungen der Deutschen Bahn AG auch negative
Schlagzeilen nach dem Motto Bahncard-Rabatt nur noch 25 %. Die
DB konterte mit der Familienfreundlichkeit des neuen Preissystems und der
Möglichkeit, auch Angebotspreise durch die Bahncard noch einmal
ermäßigt zu bekommen. Zudem soll eine verbilligte Bahncard und
die Ausweitung der günstigen Mitfahrerpreise den Einstieg für Neukunden
erleichtern.
Anfang Juli war nun die offizielle Bekanntgabe
der neuen Preisstruktur. Der Grundpreis verändert sich nicht oder kaum,
er wird aber ab etwa 180 km Reisestrecke degressiv, das heißt,
jeder weitere Kilometer wird billiger. Als Beispiel wurde die Relation
München Hamburg genannt: eine Fahrkarte mit 25 %
Bahncard-Ermäßigung soll dann genausoviel kosten wie heutzutage
eine Fahrkarte mit 50 % Ermäßigung.
Die BahnCard berechtigt nur noch zu 25 %
Ermäßigung und kostet 60 Euro oder für die erste Klasse 150
Euro.
Rabatte gibt es bei Vorbuchung von einem Tag
10 %, bei drei Tagen 25 % und bei sieben Tagen 40 %, dabei muss sich der
Reisende auf einen bestimmten Zug festlegen; das Angebot von 25 und 40 %
gilt nur für Hin- und Rückfahrt, 40 % nur über mindestens
ein Wochenende. Umtausch oder Erstattung sind nicht möglich, und dieses
Angebot ist kontingentiert, die Zahl der verfügbaren Karten also begrenzt.
Diese Ermäßigungen sind mit der BahnCard kombinierbar. Im Nahverkehr
gelten sie nur im Vor- und Nachlauf von Fernverkehrsverbindungen. Diese
Vorbucher-Rabatte ersetzen die heutigen Spar- und Supersparpreise.
Der Mitfahrerrabatt beträgt für eine
bis vier Personen 50 %, Kinder oder Enkelkinder fahren in Begleitung ihrer
Eltern oder Großeltern kostenlos.
Mehdorn sagte bei der ersten Vorstellung des
neuen Systems im Fernsehinterview: Niemand werde mehr zahlen als bisher.
Das stimmt ohne Zweifel nicht; wer artrein im Nahverkehr reist, hat die
Möglichkeiten der Frühbucher-Ermäßigung nicht und kann
nur noch den neuen halbierten Bahncard-Rabatt beanspruchen. Damit erhöht
sich der Fahrpreis um bis zu 50 %!
Aber auch an den übrigen Veränderungen
ist bei näherer Betrachtung manches nicht so überzeugend, wie es
auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag.
Wer bisher eine Bahncard besitzt, der geht
zum Schalter und kauft sich seinen Fahrschein zum halben Preis; wer sein
Guten-Abend-Ticket oder seinen Supersparpreis verlangt, weiß, was er
zu zahlen hat. Rechnerisch mag der neue Tarif ähnliche Vorteile versprechen.
Aber die verfügbaren Plätze sind kontingentiert; niemand weiß,
ob er zum gewünschten Preis reisen kann. Die Ermäßigung ist
dadurch nicht mehr kalkulierbar, sie wird zur Lotterie, und es gibt keinerlei
Hinweis darauf, wie groß die Kontingente sein werden. Eine
verlässliche Planung des Reisepreises ist nicht mehr möglich. Und
wenn die Bahn die neue Staffel an Nachlässen als Standardangebot
darzustellen versucht, sagt sie schlicht die Unwahrheit; sie sind
Vergünstigungen nach zufälliger Verteilung, ohne Anspruch und
Garantie.
Die ermäßigten Fahrscheine sind
nach Verkaufsschluss nicht mehr umtauschbar. Muss der Fahrgast wider Erwarten
kurzfristig umdisponieren oder verpasst ohne Verschulden der DB AG seinen
Zug, verfällt die Fahrkarte, er bleibt auf der ermäßigten
Fahrkarte sitzen und muss zusätzlich für einen anderen Zug eine
neue, teure Grundpreis-Fahrkarte kaufen.
Das Ganze wirkt wenig durchdacht: um das PEP
noch halbwegs fahrgastfreundlich aufzupeppen zeichnen sich einige
Basisforderungen ab:
Auch für Verbindungen, für die
grundsätzlich keine Vorbucherrabatte gewährt werden sollen,
also hauptsächlich Regionalzüge und kurze Fernverkehrsstrecken
muss man mit der Bahncard 50 Prozent Ermäßigung erreichen
können. Eine solche Bahncard bietet dann viel eher das, was der Fahrgast
erwartet. Für eine solche Leistung wird er dann auch bereit sein, einen
Betrag zu zahlen, der leicht über den zur Zeit anvisierten 60 Euro liegt.
Alternativ wäre es sinnvoll, dass es zumindest wahlweise weiterhin eine
Bahncard nach bisherigen Bedingungen gäbe. Dann haben die Fahrgäste
selbst die Möglichkeit, sich zwischen den Vorteilen zu entscheiden,
die gemäß Aussage der DB in den Neuregelungen liegen, und dem
gewohnten Halbpreisnachlass. Vor allem im Interesse der Nahverkehrskunden
ist eine dementsprechende Nachbesserung unverzichtbar.
Die Vorbucherrabatte müssen auch für
lange Strecken gelten, die ausschließlich mit Regionalzügen
zurückgelegt werden. Es kann nicht sein, dass man beispielsweise von
München nach Lindau im Eurocity billiger fährt als im
Regionalexpress.
Sonderpreis 2 (25 Prozent Rabatt) muss
auch für eine einfache Fahrt ohne Rückfahrt buchbar sein. Für
die Rückfahrt kann man sich häufig nicht so früh festlegen
wie für die Hinfahrt. Diese Tatsache sollte die Deutsche Bahn
berücksichtigen und auch unabhängig davon, ob die Rückfahrt
mitgebucht wurde oder nicht, eine Rabattierung bis zu 25 Prozent
zulassen.
Fahrscheine müssen auch nach Verkaufsschluss
in höherwertige Sonderpreis- oder Grundpreis-Fahrscheine umzutauschen
sein. Die von der Bahn vorgeschlagene Regelung provoziert vermehrt Ärger
zwischen DB-Personal und Fahrgästen sowie eine Flut von Reklamationen.
Für die Fahrgäste entstehen schlecht kalkulierbare Risiken. Für
den Umtausch wie oben gefordert ist eine geringe Bearbeitungsgebühr
(10 Prozent, maximal 10 DM) akzeptabel.
Das Verkaufssystem muss bei ausverkauftem
Kontingent in der Lage sein, Alternativen anzubieten. Der Fahrgast muss erfahren,
welcher Abschnitt wirklich ausverkauft ist und welche Optionen er hat. Als
Beispiel kann man sich folgenden Ausschnitt aus einem Dialog am Schalter
vorstellen: Nach Heidelberg ist der Sonderpreis 1 im Intercity ausverkauft.
Ich kann Ihnen aber bis Stuttgart 40 Prozent Rabatt und für den
Abschnitt Stuttgart Heidelberg 10 Prozent anbieten. Falls Sie
in Stuttgart in einen Regionalexpress umsteigen möchten, dauert die
Reise 30 Minuten länger, aber Sie erhalten 40 Prozent Rabatt
für die Gesamtstrecke. Wie man so etwas für Fahrscheinautomaten
und Online-Verkauf organisieren kann, ist wohl eine der Fragen, welche die
DB noch beantworten muss.
Mit all diesen Maßnahmen will die DB
vor allem eine gleichmäßigere Auslastung der Züge erreichen.
Wer freitags und sonntags fahren will, soll entweder auf andere Tage ausweichen
oder mehr bezahlen.
Dabei hat sich die Bahn um einen ihrer
Systemvorteile durch die weitgehende Umstellung auf Triebzüge selbst
gebracht: die flexible Gestaltung der Transportgefäße durch
veränderliche Zuglängen. Mit starren Zugkapazitäten und nach
dem massiven Rückbau von Infrastruktur mit Kreuzungs- und
Überholungsmöglichkeiten sieht sie sich nun gezwungen, die
Fahrgastnachfrage nach ihren verbliebenen Möglichkeiten zu steuern.
Der Kunde soll jetzt flexibel sein, wo es die Bahn sich selbst verbaut hat;
das kann ja wohl nicht die Lösung der Aufgaben eines
Dienstleistungsbetriebes sein.
Dementsprechend werden Spontanreisen nun über
Tarif und Zwang zur Zugbindung bestraft. Die natürliche Folge wird das
Gegenteil dessen sein, was sich die Bahn auch von dieser Tarifreform vorgeblich
verspricht: mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Denn für den vollen
Grundpreis wird niemand mehr kurzentschlossen eine Wochenendreise antreten;
die meisten Anwärter haben ihr Auto in der Garage stehen und die flexible
Alternative jederzeit bereit. Und wer weiß schon sicher, wann er von
einem fest verabredeten Termin wieder zurückfahren kann?
Es kann sicher nicht die Aufgabe eines
Verkehrsunternehmens sein, die Fahrgäste zu erwünschten Gewohnheiten
zu erziehen.
Immer wieder versucht die Bahn, sich am Vorbild
des Flugverkehrs neu zu orientieren; wir erinnern uns noch voller Schaudern
an den gescheiterten Versuch, das Essen im ICE-Speisewagen durch Bedienung
am Platz zu ersetzen. Mit dem neuen Tarifentwurf soll ähnliches nun
wieder einmal geschehen. Leider haben die verantwortlichen
Führungskräfte bis heute nicht erkannt, dass der Großteil
der Bahnfahrgäste keine Tiefflieger sein wollen. Im Flugzeug gibt es
kaum die Kurzstrecke, sehr wenige wirkliche Spontanreisende, mindestens im
inländischen Verkehr keine Zwischenhalte; Bahnverkehr hat seine
Besonderheiten, und der Kundenkreis setzt sich anders zusammen und hat
beträchtlich abweichende Ansprüche als in der Luft. Passagier ist
durchaus nicht gleich Passagier, und die Reisenden in der Bahn sind
wahrscheinlich weit mehr heterogen als die des Flugverkehrs. Und es gibt
durchaus Reisende, die bisher noch ausdrücklich mit der Begründung
gern Bahn fahren, dass sie das unbewegliche System der Flugtarife meiden
wollen. Der hauptsächliche Konkurrent der Bahn ist und bleibt aber das
Auto. Und dessen wesentlicher Vorteil ist seine Flexibilität; daran
muss die Bahn sich messen, wenn sie ihre Nachfrage verbessern will, damit
müssen ihre Angebote konkurrieren, von dort lässt sich neues
Kundenpotential holen, nicht aus der Luft.
So etwas ist möglich, wie wir in der
Nachbarschaft sehen: das zu Recht so oft zitierte ÖV-Musterland Schweiz
hat neben einem dichten Streckennetz und den gut merkbaren und bewährten
Integralen Taktfahrplänen ein sehr einfaches Tarifsystem; es gibt einen
leicht errechenbaren Grundpreis (allerdings ohne Degression, aber die wäre
grundsätzlich leicht möglich), keinerlei Zuschläge, ein
Halbtaxabonnement, mit dem man auch Schiff und Tram fahren kann,
selbstverständlich nur eines für beide Wagenklassen, und ein
umfassendes Generalabonnement. Das lässt sich also machen. Unsere
Entscheidungsträger im Öffentlichen Verkehr werden natürlich
sagen: Die Bedingungen sind nicht vergleichbar, und weiterhin
immer ein umständliches System durch ein anderes umständliches
ersetzen, und die Fahrgastverbände dürfen darüber grübeln,
ob es nun vielleicht geringfügig besser geworden ist als vorher. Vor
allem aber unterscheidet sich eine unserer Bedingungen wesentlich von denen
in der Schweiz: Dort gibt es Leute, die so etwas können und wollen.
Zumindest, was das Wollen betrifft, muss man auf deutschen Schienen ernsthaft
daran zweifeln.
Quelle: MWr/ELau PRO
BAHN-Post 08/01 |