Das Walchenseekraftwerk

Die Idee wurde um die Jahrhundertwende in München geboren: man wollte den Höhenunterschied von 200 m zwischen Walchen- und Kochelsee zur Gewinnung elektrischer Energie ausnutzen.
     Oskar von Miller war es, der nach Vorplanungen durch zahlreiche Ingenieure und die neugegründete „Abteilung für Wasserkraftausnutzung“ bei der Obersten Baubehörde des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren die entscheidenden Schritte zur Realisierung des Projektes einleitete. Selbst Ingenieur und Mitglied des Reichsrats der Krone Bayern, warb er dafür, die bayerischen Bahnen zu elektrifizieren und den übrigen Strom dem ganzen Land zukommen zu lassen.
     Das Projekt erregte sofort die Gemüter. Die einen stimmten begeistert zu, andere warnten vor dem vermessenen Eingriff in die Natur.
     Unten in Kochel und oben in Urfeld erinnerten die Bauern an die Sage von einem riesigen Waller, der auf dem tiefen Grund des Walchensees hause und, wenn er aufgescheucht werde, den See zum Überlaufen bringe.
     Die Regierung zögerte: „Wohin mit all dieser elektrischen Energie?“, fragte sie.
     Endlich, gegen Ende des 1. Weltkrieges, hatte sich Oskar von Miller durchgesetzt. Am 21. Juni 1918 beschloss der Bayerische Landtag den Bau des Walchenseekraftwerkes.
     Die Leistung, die mit dem Bau vollbracht wurde, ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Die technischen Hilfsmittel waren unvollkommen, die Verkehrswege schlecht ausgebaut und im Winter nur mit Schlitten befahrbar; dazu die katastrophale wirtschaftliche Lage.
     Aber am 24. Januar 1924 war es so weit; zum ersten Mal trieb Walchenseewasser am Ufer des Kochelsees eine Turbine an.


Hier schlagen 16 2/3 Hertz für die Bahn

Der Weg des Wassers
     Um den Turbinen stets genügend Zufluss zu sichern, wird in den Walchensee zusätzlich zu den natürlichen Zuflüssen Wasser aus der Isar und dem Rißbach eingeleitet.
     Vom Einlaufbauwerk bei Urfeld strömt das Wasser in einen 1200 m langen Stollen, dessen Sohle 10 m unter dem normalen Seespiegel liegt.
Der Stollen mündet im Wasserschloss, das den Ausgleich bei einem plötzlichen Wechsel im Wasserbedarf regelt, das Becken fasst 10.000 m³. Von hier aus schießt das Wasser durch die rund 450 m lange Rohrbahn zu den Turbinen. Die sechs Rohre sind für einen Überdruck von 40% berechnet.
  
Schaufelrad einer Pelton-Turbine
     Die Maschinenhalle hat eine Länge von über 100 m. Vier Rohre münden in je eine Francisturbine von 24.000 PS Leistung, gekuppelt mit jeweils einem Drehstromgenerator von 23.000 bis 25.000 kVA. Aus den beiden übrigen Rohren empfangen vier Pelton-Freistrahl-Turbinen von je 18.000 PS ihr Wasser. An sie sind vier Einphasenstromgeneratoren von 12.500 bis 16.000 kVA angeschlossen. Diese Einphasengeneratoren, damals die größten Europas, erzeugen Strom für den Zugbetrieb der Deutschen Bahn. Bei voller Leistung schlucken alle Turbinen zusammen 84m³ in der Sekunde.
     Das Wasser fließt, nachdem es seine Arbeit geleistet hat, durch den Unterwasserkanal des Kraftwerks in den Kochelsee.

Der Weg des Stroms
     Der Strom nimmt seinen Weg durch Kabel von den Generatoren zu den Transformatoren. Hier wird die Energie von der Maschinenspannung (6.600 V) auf die Spannung des die Energie abtransportierenden Netzes (110.000 V) angehoben.
     Über Leistungs- und Trennschalter (zum Ein-, Aus und Umschalten des Energieflusses) fließt der Strom über die Sammelschienen zu den Freileitungen und damit „ins Netz“.

Gemessen an der Leistung der Wärmekraftwerke nimmt sich das Walchenseekraftwerk eher bescheiden aus. Dennnoch hat es für das Bayernwerk eine ganz erhebliche Bedeutung als Erzeuger wertvollen Spitzenstroms.
     Der Strombedarf schwankt im Laufe des Tages sehr stark. Weil sich elektrische Energie nicht speichern lässt, sondern immer in dem Augenblick erzeugt werden muss, in dem sie gebraucht wird, gleicht man wechselnden Bedarf durch Zu- oder Abschalten von Kraftwerken aus.
     Dies ist u.a. Aufgabe der zentralen Lastverteilung des Bayernwerkes in Karlsfeld bei München.
     Allerdings ist Kraftwerk nicht gleich Kraftwerk. Der Einsatz der einzelnen Kraftwerkstypen ist abhängig von verschiedenen Faktoren; vor allem von den unterschiedlich hohen Stromerzeugungskosten und von den Zeiten, die für das Inbetriebsetzen und Wiederabstellen der Anlage benötigt werden.
     Das Walchenseekraftwerk gehört zur Kategorie der Spitzenlastkraftwerke, im Gegensatz zu Kohle- oder Kernkraftwerken kann es mit seiner vollen Leistung in Minutenschnelle eingesetzt werden.

Noch heute ist das Walchenseekraftwerk mit einer durchschnittlichen Jahreserzeugung von 320.000.000 kWh eines der größten Hochdruckspeicher-Kraftwerke Deutschlands.

Aus einer Broschüre des Walchense-Kraftwerks; Fotos: PMo


Da geht's rein (Wasserschloss und Rohrbahn)

Francisturbine macht aus Wasser Pferdekraft

Da kommt's raus (Hochspannungs-Freiluftschaltanlage)