Mehdorn neues Bahnkonzept

Passagier nach Maß

Wie soll der ideale Bahnkunde der Zukunft aussehen? Wenn nicht alles täuscht, wünschen sich Hartmut Mehdorn und seine Mannen so: Vor allem gesund, am besten zwischen 20 und 50 Jahre alt (mit kleinen Kindern oder alten Menschen wirds im Zug ja meist problematisch); ein gewisses Stehvermögen sollte er oder sie schon mitbringen (falls wieder einmal kein Sitzplatz zwischen Frankfurt und München frei ist); er/sie sollte kein Gepäck haben (höchstens einen Laptop mit Handy- und Internet-Anschluß, damit er sich damit während der Fahrt selbst neue Anschlussmöglichkeiten nach der verspäteten Ankunft am Zielort heraussuchen kann); er sollte nur Reiseziele auswählen, die mindestens 500 km entfernt sind, und er sollte zudem am besten ein halbes Jahr im Voraus seinen Reisetermin kennen.
     Wer in dieses Anforderungsschema passt, hat Glück, die anderen bleiben leider auf der Strecke.
     Wer angesichts dieser Perspektiven auf Bahn-Chef Mehdorn einhackt, verkennt eines: Der Manager setzt den Zug nur auf dem Gleis unter Volldampf, auf den die Politik ihn vor Jahren mit der Privatisierung gestellt hat. Vor allem Unions-Politiker sollten sich mit Krokodilstränen zum Thema Bahn zurückhalten – die verhängnisvolle Fehlentscheidung, dieses für das Allgemeinwohl so eminent wichtige Verkehrssystem den Kräften des freien Marktes zum Fraß vorgeworfen zu haben, geht auf die Kappe von Ex-Kanzler Kohl und Co.
     Dass der amtierende Kanzler einer rot-grünen Koalition, die angeblich für umweltfreundliche Verkehrspolitik eintritt, tatenlos zusieht, ist nur ein weiteres blamables Kapitel der verkorksten neueren Eisenbahngeschichte.

Alexander Weber im Münchner Merkur vom 18.März 2000