Fun-Wochenende in Hamburg

Mit „Moin, moin“ begrüßen sich die Hamburger auch am Abend. Das können wir gleich am Donnerstag beim „Anschnuppern“ im Café „Uhrlaub“ feststellen. In dem Lokal haben sich im August 1999 die schwulen Bahnfreunde Hamburg mit 50 Personen zum ersten Mal zusammen gefunden.
     Die Begrüßungszeremonie wird von einem etwas nervigen Sänger mit seiner Klampfe beeinträchtigt, man kann ihn aber nicht rauswerfen, denn es scheint sich um den Wirt des Lokals zu handeln. Nachdem wir ihn mit voller Kraft ignorieren hört er schließlich auf und es kommt richtig gute Stimmung auf.
     Die meisten essen was und wenn die Bedienung etwas fixer wäre, würde er viel mehr Bier verkaufen.
     Gegen 23 Uhr löst sich die fröhliche Runde auf, wir haben ja in den nächsten Tagen noch viel vor.

     Am Freitag ist um 9.30 Uhr Treffpunkt am U-Bahnhof Baumwall. In Hamburg ist manches anders, deshalb fährt hier die U-Bahn hoch droben und die S-Bahn unterirdisch. Eigentlich heißt die U-Bahn ja auch „Hamburger Hochbahn“. Es hat schon was, wenn man aus den U-Bahn-Fenstern hinaus schaut und statt grauer Tunnelwände riesige Schiffe, die die Weite der Welt verdeutlichen, sieht.

U-Bahn ganz oben
  
     Aber die große Welt wird jetzt ganz klein, denn wir besuchen das Miniatur-Wunderland, angeblich die größte Modellbahnanlage Europas. Um dort hin zu kommen müssen wir durch den Zoll. Die Anlage befindet sich in der Speicherstadt, die gehört zum sog. „Freihafen“, der zollrechtlich Ausland ist. Es ist aber keiner da, der uns löchert oder filzt.
     Es ist schon eine gigantische Anlage, die sich da vor unseren Augen auftut. Sie schlängelt sich um Säulen und Wände, so dass sie nirgends komplett überblickt werden kann. Dabei ist sie noch gar nicht fertig. Derzeit wird noch an einer größeren Hafenstadt und an Amerika gebastelt.
     Die Landschaft ist mit vielen liebevollen Details ausgestattet. Da müsste man schon jeden Quadratzentimeter einzeln untersuchen um jeden Gag aufzuspüren. In den Seitenprofilen der Landschaft sind sogar kleine Fenster durch die man in Tropfsteinhöhlen oder Bergwerke blicken kann.
     Das Rollmaterial ist zeitgenössisch. Dampfzüge fahren nur wenige herum. Da brettert dann schon eher mal ein ICE über die lang gestreckte Neubaustrecke, dazwischen kurvt ein Interregio oder ein Desiro durch einen Bahnhof.
     Die Züge fahren völlig ruckfrei und langsam an und verkehren auch in halbwegs realistischer Geschwindigkeit. Platz ist genug da, deshalb sind auch die Kurven nicht zu eng geraten.
     Besonders gut kann man das auf einem Monitor beobachten, auf den die Führerstandsperspektive eines Intercitys übertragen wird. Das wirkt so echt, dass man es für einen normalen Streckenvideo hält. Erst wenn plötzlich riesige Köpfe über der Landschaft schweben, weil der Zug gerade auf den Rand der Anlage zufährt, wird man stutzig. Interessant an dieser Perspektive sind auch die Schattenbahnhöfe, die wie abenteuerliche Betonkonstruktionen aus einem Science-Fiction-Film wirken.
     Einer der Initiatoren ist offensichtlich ein Feuerwehr-Freak. Nicht nur eine riesige Vitrine mit Hunderten von Feuerwehrauto-Modellen gibt es, sondern in der Hauptstadt der Modellbahnanlage brennt es immer mal irgend wo und dann rückt die Feuerwehr mit etlichen Fahrzeugen, Blaulicht und viel Tatü-Tata aus. Hier kommt eine interessante Technik zum Einsatz, die die Autos auf glatter Straße steuert.
     Ein Linienbus hat ebenfalls eine Kamera eingebaut. Auch das wirkt auf dem Monitor sehr realistisch, wenn der Bus durch die Straßen der Stadt kurvt.
     Über eine ausgeklügelte Beleuchtung werden Tag und Nacht simuliert. Es ist schon eindrucksvoll, wie in der Abenddämmerung das große Schloss auf dem Berg brennt und die Rauchschwaden vom Blaulicht der herannahenden Feuerwehr-Kolonne beleuchtet werden.
     In fortgeschrittener Nacht kommt auch der Bahnverkehr fast zum Erliegen, nur noch einige Güterzüge beleben noch die Szene aus Tausenden Lämpchen. Wem das dann zu langweilig ist, der kann ein UFO, das reichlich mit blinkenden Leuchtdioden bestückt ist, landen lassen.
     Es fällt schwer sich loszureißen, das muss aber jetzt sein, denn es steht „richtiges“ U-Bahn-fahren auf dem Programm.

     In der Kantine einer städtischen Behörde stärken wir uns, dann geht es zum U-Bahnhof Berliner Tor. Nach einem kurzen Blick in einen Graben voller Gleise, in dem gerade die dänische „Gumminase“ durchfährt, begrüßt uns eine Frau von der Hamburger Hochbahn AG. Sie erläutert einiges zur Geschichte des Unternehmens, dann geht es hinunter auf den U-Bahnsteig. Schon kommt unser Sonderzug angefahren. Nun dürfen wir selber ran. Also: Knüppel zwischen die Finger und einen fahren lassen...
     Interessanterweise findet die Aktion nicht auf einem 100 Meter langen sorgfältig abgeschirmten Betriebsgleis statt, sondern richtig auf Strecke und mitten im freitagnachmittäglichen Berufsverkehr. Jeder darf ungefähr zwei Kilometer weit fahren, durch die Bahnhöfe mit 20 km/h, sonst was Strecke und Signale hergeben. Wenn einer zu heftig beschleunigt oder bremst wird das sofort mit Gejohle von hinten quittiert. Der Fahrlehrer greift kaum ein. Der Wechsel findet immer auf freier Strecke statt.
     So geht es über Hauptbahnhof, Landungsbrücken und Schlump bis Barmbek, dort wird Kopf gemacht. Die ganze Meute eilt ans andere Ende des Zuges, dann geht es weiter über Wandsbek bis Volksdorf, dann war jeder mal dran. Großzügigerweise verzichten unsere Hamburger Freunde auf‘s Selberfahren, so kann jeder den Zug ein längeres Stück steuern.
     Bis Farmsen darf nochmal einer ran, dann besichtigen wir diverse Bahnsteigeinrichtungen und das neue elektronische Stellwerk.
     Bemerkenswert ist, dass die Notrufsäulen auf den Bahnsteigen auch für allgemeine Kommunikation zwischen Fahrgast und Leitstelle freigegeben ist. Es ist durchaus möglich und – freilich in gewissen Grenzen – erwünscht, dass Fahrgäste bei Störungen Alternativrouten anfragen, Fundsachen melden oder – wenn einer den Fahrplan nicht lesen kann – einfach nach dem nächsten Zug fragt. Allerdings muss man hinzufügen, dass bis vor kurzem auf jedem Bahnhof ein Stationsschaffner war, den man durch die neue Technik ersetzt hat. Die Sprechsäulen sind also nur ein Ersatz für den Aufpasser, den man ja auch mit allen möglichen Fragen löchern konnte.

     Einige wollen noch in ein Museum, das hat aber schon zu, andere nutzen die Programmlücke für ein Nickerchen oder einen Spaziergang rund um die Binnenalster.

      Abends um acht beginnt dann der „offizielle Kennenlernabend“ im Café Hofgarten im Hotel Königshof. Ein sehr reichhaltiges und vorzügliches Büffet ist aufgebaut. Besonderen Zuspruch findet die rote Grütze, ein Phänomen, das uns in den nächsten Tagen noch öfter auffallen wird. Der Kellner kommt kaum noch nach, die großen Glasschüsseln heran zu schleppen.
     Das Organisations-Team des Fun-Wochenendes hat für jeden Teilnehmer einen großen DIN-A4-Briefumschlag mit allerlei Info-Material, Stadtplänen, den Handzetteln für das Programm der folgenden Tage, einem Kinderschokolade-Überraschungs-Ei und einem Cruising-Pack vorbereitet.

     Um dreiviertel elf gehen wir schnell noch hinüber ins „Hein & Fiete“, dem schwul-lesbischen Hamburger Info-Zentrum. Freilich sind wir die einzigen, denn hier gibt es keine Kneipe, keine Bibliothek und keine Gruppenräume, wie wir das von unserem Sub in München kennen. Die Leute kommen nur „schnell mal“ her, um sich ein paar Zettel zu holen, dann verschwinden sie wieder. Bestenfalls bleiben sie eine Viertelstunde für einen „Klönschnack“ mit dem ehrenamtlichen Infodienst.

     In etwas kleineren Gruppen teilen wir uns zum Szenebummel auf. Die meisten müssen wohl oder übel ihre großen DIN-A4-Umschläge mitnehmen, was beim Betreten der diversen Lokalitäten Neugier und Befremden auslöst. Wenn uns einer fragen würde, was denn da drin ist, könnten wir sagen, dass wir so große Tüten für unsere Kondome brauchen... Aber leider fragt keiner.

     Am Samstag vormittag würde eigentlich das Museum für Hamburgische Geschichte auf dem Programm stehen. Die große Modellbahnanlage dort ist aber leider geschlossen und der Rest des Museums findet nur mäßiges Interesse. So wurde bereits am Abend zuvor ein Alternativprogramm angeboten, das eine doch recht stattliche Gruppe annimmt: eine Rundreise mit den USA-Bahnen, also U-Bahn, S-Bahn und AKN.
  
AKN (links) und U-Bahn (rechts) treffen sich in Norderstedt Mitte ohne Gleisverbindung
     Um 9.30 Uhr geht es los: mit der U2 nach Barmbek, mit der S1 nach Ohlsdorf, mit der U1 nach Norderstedt Mitte und schließlich mit der AKN nach Ulzburg Süd. Bei jedem Umsteigen ist ein längerer Aufenthalt eingeplant, damit in Ruhe die Anlage erläutert und fotografiert werden kann. Über Eidelstedt und die Verbindungsbahn (man hüte sich vor dem Begriff „Stadtbahn“) geht es zurück.

     Für die Teilnehmer der Rundfahrt war nur Zeit für Fast-Food (was nicht heißen soll, dass das Zeug zum Fasten geeignet ist, immerhin ist es fast eßbar).
     Auf dem Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofs dudelt relativ laut klassische Musik aus billigen Lautsprechern, damit sich es auch richtig schön gräßlich anhört. Wenn Mozart und seine Kollegen geahnt hätten, dass ihre Musik hier als „Penner-Schreck“ herhalten muss...

     Und schon geht es los zu einer Führung durch den Hauptbahnhof. Der Referent, der auch schon die vormittägliche Rundfahrt leitete, ist ein hoher Bahn-Manager, der sich sogar für die Bahn interessiert und sich damit auskennt. Deshalb legt er einen exzellenten Vortrag hin, bei dem man allerlei interessante Haupt- und Nebensächlichkeiten erfährt. Er muss alles immer wiederholen, weil bei dem allgegenwärtigen Krach auf dem Bahnhof nur ein paar Leute zuhören können.
     Heute ist auch noch der sog. „G-Move“, eine Art Love-Parade. Die Züge sind voll mit mehr oder weniger überdrehten Jugendlichen. Mit einem RE aus Bremen wollen wir nach Altona weiter fahren. Es steht aber noch nicht fest, ob der Zug überhaupt noch benutzbar ist, deshalb dürfen wir noch nicht einsteigen, während eine wilde und lärmende Horde vorbeizieht. Erstaunlicherweise ist der Zug noch relativ sauber, nur auf dem Klo wabert der Inhalt kurz unter dem Schüsselrand und droht bei jeder Kurve überzuschwappen.
     In Altona gehen wir bis zum äußersten Bahnsteigende hinaus. Ralli steht etwas erhöht und erläutert mit weit ausladenden Bewegungen den Bahnbetrieb. Es dauert nicht lange, da nähert sich ein merkwürdiges Gefährt auf dem Bahnsteig. Darauf sitzen drei BGS-Beamte. Vorsorglich ruft ihnen Ralli entgegen: „Wir sind nicht vom G-Move, wir sind die schwulen Eisenbahnfreunde und wollen uns hier mal den Bahnbetrieb anschauen.“ – „Aha, und Sie sind der Oberschwule?!“ stellt der Fahrer des Wägelchens folgerichtig fest, worauf Ralli kurz und prägnant „Ja!“ antwortet. Da trollt sich das Trio auf dem Papamobil wieder und unser zaghaftes Gekicher geht in schallendes Gelächter über. Schade, dass wir nie erfahren werden, was sich die drei jetzt denken.
     Ralli kann noch seinen Vortrag zu Ende halten, wir verlassen den langen Bahnsteig, machen noch eine Kaffeepause und gehen hinunter zur S-Bahn, ohne dass uns eine Hundertschaft alarmierter BGSler aufhält.
     Die Fahrt geht nun nach Blankenese, den Nobelvorort von Hamburg. Es ist ein Kopfbahnhof, die zweigleisige Strecke endet hier. Ein eingleisiger Abzweig führt noch vier Stationen weiter nach Wedel. Im Berufsverkehr herrscht hier ein 5-Minuten-Takt pro Richtung und in dem Gewirr aus endenden, wendenden und sich überkreuzenden Zugläufen kann man sich kaum vorstellen, wie der Stellwerker hier die Hebel schwingt. Ein Fitness-Studio wird er jedenfalls kaum brauchen. Es ist das letzte mechanische Stellwerk mit Formsignalen im Hamburger S-Bahn-Bereich (siehe Titelbild), dessen Tage allerdings auch gezählt sind.
  
Blankeneser „Bergziege“
     Wir schauen dem – allerdings heute ruhigeren – Treiben noch etwas zu, dann gehen wir zum Bahnhofsvorplatz. Merkwürdige kleine Busse stehen hier bereit. Es sind die sogenannten „Bergziegen“, die in den steilen(!) und engen Gassen von Blankenese verkehren.
     An einer Eisdiele wird ein Zwischenstop eingelegt. Gegenüber ist eine Kirche, aus der gerade eine Braut heraus kommt. Ein paar Leute stehen da und ein Pferd, das sogleich von der Braut liebkost wird. Ein Bräutigam ist weit und breit nicht zu sehen. Wir müssen aber weiter, damit wir das Schiff nach Teufelsbrück bekommen. Über gewundene Treppen zwischen den Nobelvillen wagen wir den 60 Höhenmeter-Abstieg zur Elbe hinunter.
     Mit drei verschiedenen Schiffen (umsteigen in Teufelsbrück und Finkenwerder) erreichen wir bei den Landungsbrücken die Innenstadt. Unter der U-Bahn, die hier eine Hochbahn ist, hupt eine Hochzeitskolonne. Da fragt einer: „Ob die auch ein Pferd geheiratet hat?“

     Ein gemeinsames Abendessen gibt es heute in der „Schifferbörse“, danach verteilt man sich in Kleingruppen in der Szene. Es nieselt kräftig und unsere Gastgeber sagen, das hätten sie extra bestellt, damit unsere Erwartungen an Hamburg pflichtgemäß erfüllt werden.
     Am Sonntag steht ein Ausflug mit dem Heide-Express auf dem Programm. Mit dem RE geht‘s nach Lüneburg. Im Bahnhof ist ein großes Wandgemälde, das Lüneburg im Mittelalter darstellt.
     Gegenüber ist der inzwischen zweckentfremdete Westbahnhof, der allerdings ebenfalls im Osten der Stadt liegt.

Einsteigen und los geht's
  
     Wir (inzwischen etwa 40 Personen) gehen um zwei Ecken und gelangen an eine Wiese mit einer länglichen Gartenlaube. Bei näherem Hinschauen stellen wir fest, dass die Wiese Gleise enthält, das Häuschen Räder hat und vorne und hinten Puffer. Als wir alle drin sind, wird ein Motor angeworfen und – man hält es kaum für möglich – die Hütte fährt! Es handelt sich um einen Schienenbus aus den 30er-Jahren, der von russischen Aussiedlern wieder liebevoll hergerichtet wurde. Ein Buch macht die Runde, in dem die Restaurierungsarbeiten dokumentiert sind.
     Wir befahren einen Teil des Streckennetzes der Osthannoverschen Eisenbahn (OHE – „Ohne Hast und Eile“). Nach zwanzig Kilometern und zwei Fotohalten erreichen wir den Haltepunkt „Schafstall“.
     Nach Programm soll es hier ein gemeinsames Mittagessen geben. Hier? Der Blick schweift umher. Es gibt das Gleis auf dem wir gekommen sind, einen ungeteerten Feldweg, ein gelbes Rapsfeld und etwas Wald. Sogar Ralli hat heute auf seine knallgelbe Jacke verzichtet, weil man ihn sonst im Rapsfeld nicht mehr gefunden hätte. Der Schienenbus bleibt kurzerhand auf dem Gleis stehen, hier ist heute sowieso nichts los. Völlig überraschend erreichen wir nach wenigen Metern durch den Wald ein Ensemble von (diesmal richtigen) Hütten, auf dem Platz dazwischen ein großes Lagerfeuer mit Bänken aus halbierten Baumstämmen drum herum. Unwillkürlich fühlt man sich an die Schlussszene jedes Obelix-Heftes erinnert.
  
Obelix ist gerade auf der Wildschwein-Jagd
     Nach dem üppigen Mahl in der urigen Umgebung ist ratz-fatz die große Schüssel mit der Roten Grütze leer. Der langen Schlange mit den langen Gesichtern kann die Frau, die das Essen austeilt, nur noch mit echtem Ausdruck des Bedauerns sagen: „Sonst bleibt immer so viel übrig!“
     „Sonst“: das sind Familien mit Kindern, die der Roten Grütze bestimmt auch nicht abgeneigt sind.
     Da hat die Frau – wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu werden – eine der großen Fragen der Menschheit aufgehellt: Was unterscheidet Heteros von Schwulen? Wir stellen fest: Noch vor allen anderen Kriterien zeichnet sich der Schwule dadurch aus, dass er Unmengen Roter Grütze verdrücken kann!
     Nach der Rückfahrt teilt sich die Gruppe: die einen schauen sich das Betriebsgelände der Museumsbahn an, gehen in die Salztherme oder besichtigen das stillgelegte, aber der Spitzhacke entronnene, mechanische Wärter-Stellwerk „Lnw“. Ein 70-jähriger Bahn-Pensionär erläutert mit glänzenden Augen die ganzen Hebel und deren Zusammenwirken.
     In einer Stadtführung werden uns noch die touristischen Höhepunkte der Stadt vorgestellt, dann laufen wir eine trostlose Straße hinaus zu einer ehemaligen Pumpstation. Hier ist eine Modul-Modellbahn-Anlage aufgebaut. Das Geländeprofil lässt darauf schließen, dass die Module immer in der gleichen Anordnung aufgebaut werden bzw. einfach zusammen bleiben.
     Im Gegensatz zur großen Anlage in der Hamburger Speicherstadt wird hier richtig Eisenbahn „gespielt“. Wer nicht aufpasst, hat sich schnell seinen Bahnhof so zugestellt, dass nichts mehr geht.
     Draußen ist die Brücke über die Ilmenau und hier rauschen „richtige“ Züge in dichter Folge vorbei. Über diese Brücke und durch einen üppig wuchernden Park kehren wir zum Bahnhof zurück.
     Alle treffen sich hier wieder – um sich gleich wieder zu trennen. Die eine Hälfte fährt auf dem kürzesten Weg zurück nach Hamburg, die anderen lassen sich den Umweg über Büchen nicht entgehen. Unser Bahn-Manager erläutert die Besonderheiten an der Strecke und dem Bahnhof Büchen.

     Kurz vor 21 Uhr erreichen wir wieder den Hamburger Hauptbahnhof. Doch der Tag ist noch längst nicht vorbei. In der „Fabrik“ in Altona ist heute „Gay-Factory“, eine der größten regelmäßig stattfindenden schwul-lesbischen Disco-Veranstaltungen in Norddeutschland. Unser Hamburger Fun-Treffen-Organisationsteam hat vorgesorgt: wir können an der endlosen Abendkassen-Schlange vorbeimarschieren, „schwule Eisenbahnfreunde“, Namen und Heimatstadt sagen und – schwupp – sind wir drin!

     Unten ist der große Dance-Floor und eine breite Treppe führt zu einer Galerie, von deren Geländer man lässig auf die herumhüpfende Gesellschaft hinunter schauen kann. Das Gebäude stammt aus einer Zeit, wo man noch fähig war, auch Industriegebäuden eine ästhetisch ansprechende Architektur zu verpassen. Es gibt etliche ruhigere Ecken und einen verglasten Ruheraum, der aussieht wie eine Kantine und wahrscheinlich auch einmal eine solche war. Die Musik ist gemischt: von ABBA bis Techno, wobei letzteres am Ende deutlich überwiegt.
     Tief in der Nacht verlassen wir die Fabrik und fahren mit dem Nachtbus Richtung Rathausmarkt. Tausende von Leuchtdioden blinken in unterschiedlichem Rhythmus an der Decke des Busses und kaum ist die Tür zu geht Techno-Bum-Bum in voller Lautstärke los. Es gibt durchaus Qualitäts-Unterschiede in der Techno-Musik, die erschließen sich nicht jedem, aber das hier ist allerbilligste Sorte und hört sich an wie der Schiffsdiesel im Motorraum eines windigen Seelenverkäufers. Immer wenn die Tür aufgeht verstummt die „Musik“, wahrscheinlich damit die Anwohner nicht aus den Betten fallen. Wie der Busfahrer das aushält ist völlig rätselhaft, entweder hat er Nerven wie Drahtseile oder schachtelweise Beruhigungspillen eingenommen. Immerhin waren wir selbst fünf Stunden in der Disco, wie mag das erst auf jemand wirken, der gerade von einem lauschigen Abendessen oder gar einem klassischen Konzert zurückfahren will?
     Nach zwanzig Minuten Dröhnung und Glibber-Geflimmer erreichen wir endlich den Rathausmarkt. Hier ist großes Treffen aller Nachtbus-Linien zum kollektiven Umsteigen. Erst jetzt fällt uns auf, dass unser Disco-Bus der einzige ist, der hier fast leer ankommt, wogegen alle anderen (Gelenk-)Busse(!) knallvoll ankommen und ebenso knallvoll wieder abfahren. Am nächsten Tag berichten uns andere, die eine halbe Stunde später gefahren sind und keinen Disco-Bus hatten, dass der auch recht voll gewesen wäre. Das sollte zu denken geben – oder: Das Gegenteil von „gut“ ist nicht „böse“, sondern das „gut Gemeinte“.

     Am Pfingstmontag, dem letzten Tag des FUN-Wochenendes, steht nur ein einziger Punkt auf dem Programm, die „Abschlussfahrt auf der Elbe“. Auf einer Barkasse (Scheckkarten werden beim Bier-Verkauf nicht akzepiert...) schippern wir über die Elbe, diverse Hafenbecken und Kanäle. Aufsehen erregt u.a. eine Schleuse, deren Ausgangstor schon aufgeht, während das Eingangstor noch gar nicht richtig zu ist. Hier werden auch keine Höhenunterschiede überwunden, da geht es nur darum, dass Querströmungen zwischen den weit verzweigten Hafenbecken nicht die Fahrrinnen verschlammen.

Köhlbrandbrücke
        Die ganze Zeit brennt die Sonne vom blauen Himmel und manch einer darf sich in den nächsten Tagen die Frage gefallen lassen, wie man sich ausgerechnet in Hamburg einen Sonnenbrand holen kann...
     Mit viel Kuttergetucker geht es weiter unter der Köhlbrandbrücke durch zu einem nagelneuen Containerhafen mit eindrucksvollen Kränen, dann wieder raus auf die Elbe, durch die Speicherstadt und schließlich werden wir an einem abgelegenen Fährkanal auf der „falschen“ Seite der Elbe „ausgesetzt“. Hatten unsere Hamburger Freunde vielleicht nicht genug Bares in die Kasse der Barkasse gesteckt?
     Des Rätsels Lösung lässt nicht lange auf sich warten: man hat ein Sekt-Buffet vorbereitet, mit Blick über die Elbe auf die Skyline der Hansestadt – der richtige Rahmen für rührige Abschiedsszenen.
     Allmählich sind nasse Tränen und trockener Sekt aufgebraucht und es stellt sich die letzte Frage: Wie kommen wir da wieder rüber?
  
Ästhetik eines Containerterminals

Alter Elbtunnel
        Ganz einfach: durch den alten Elbtunnel, der glücklicherweise am Wochenende für Autos gesperrt ist. Mit dem „Personenaufzug“ (im Gegensatz zu den „Autoaufzügen“) geht es runter, dann einen knappen halben Kilometer durch gekachelte Röhren unter der Elbe durch und dann wieder hoch.
     Als wir von der Hoch-U-Bahn zurück schauen, wissen wir, dass wir dieses tolle Wochenende so schnell nicht vergessen werden.

Peter


Junge, komm bald wieder...