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Fun-Wochenende in Hamburg
Mit Moin, moin begrüßen
sich die Hamburger auch am Abend. Das können wir gleich am Donnerstag
beim Anschnuppern im Café Uhrlaub feststellen.
In dem Lokal haben sich im August 1999 die schwulen Bahnfreunde Hamburg mit
50 Personen zum ersten Mal zusammen gefunden.
Am Freitag ist um 9.30 Uhr Treffpunkt am U-Bahnhof
Baumwall. In Hamburg ist manches anders, deshalb fährt hier die U-Bahn
hoch droben und die S-Bahn unterirdisch. Eigentlich heißt die U-Bahn
ja auch Hamburger Hochbahn. Es hat schon was, wenn man aus den
U-Bahn-Fenstern hinaus schaut und statt grauer Tunnelwände riesige Schiffe,
die die Weite der Welt verdeutlichen, sieht.
Es ist schon eine gigantische Anlage, die sich da vor unseren Augen auftut. Sie schlängelt sich um Säulen und Wände, so dass sie nirgends komplett überblickt werden kann. Dabei ist sie noch gar nicht fertig. Derzeit wird noch an einer größeren Hafenstadt und an Amerika gebastelt. Die Landschaft ist mit vielen liebevollen Details ausgestattet. Da müsste man schon jeden Quadratzentimeter einzeln untersuchen um jeden Gag aufzuspüren. In den Seitenprofilen der Landschaft sind sogar kleine Fenster durch die man in Tropfsteinhöhlen oder Bergwerke blicken kann. Das Rollmaterial ist zeitgenössisch. Dampfzüge fahren nur wenige herum. Da brettert dann schon eher mal ein ICE über die lang gestreckte Neubaustrecke, dazwischen kurvt ein Interregio oder ein Desiro durch einen Bahnhof. Die Züge fahren völlig ruckfrei und langsam an und verkehren auch in halbwegs realistischer Geschwindigkeit. Platz ist genug da, deshalb sind auch die Kurven nicht zu eng geraten. Besonders gut kann man das auf einem Monitor beobachten, auf den die Führerstandsperspektive eines Intercitys übertragen wird. Das wirkt so echt, dass man es für einen normalen Streckenvideo hält. Erst wenn plötzlich riesige Köpfe über der Landschaft schweben, weil der Zug gerade auf den Rand der Anlage zufährt, wird man stutzig. Interessant an dieser Perspektive sind auch die Schattenbahnhöfe, die wie abenteuerliche Betonkonstruktionen aus einem Science-Fiction-Film wirken. Einer der Initiatoren ist offensichtlich ein Feuerwehr-Freak. Nicht nur eine riesige Vitrine mit Hunderten von Feuerwehrauto-Modellen gibt es, sondern in der Hauptstadt der Modellbahnanlage brennt es immer mal irgend wo und dann rückt die Feuerwehr mit etlichen Fahrzeugen, Blaulicht und viel Tatü-Tata aus. Hier kommt eine interessante Technik zum Einsatz, die die Autos auf glatter Straße steuert. Ein Linienbus hat ebenfalls eine Kamera eingebaut. Auch das wirkt auf dem Monitor sehr realistisch, wenn der Bus durch die Straßen der Stadt kurvt. Über eine ausgeklügelte Beleuchtung werden Tag und Nacht simuliert. Es ist schon eindrucksvoll, wie in der Abenddämmerung das große Schloss auf dem Berg brennt und die Rauchschwaden vom Blaulicht der herannahenden Feuerwehr-Kolonne beleuchtet werden. In fortgeschrittener Nacht kommt auch der Bahnverkehr fast zum Erliegen, nur noch einige Güterzüge beleben noch die Szene aus Tausenden Lämpchen. Wem das dann zu langweilig ist, der kann ein UFO, das reichlich mit blinkenden Leuchtdioden bestückt ist, landen lassen. Es fällt schwer sich loszureißen, das muss aber jetzt sein, denn es steht richtiges U-Bahn-fahren auf dem Programm.
In der Kantine einer städtischen Behörde
stärken wir uns, dann geht es zum U-Bahnhof Berliner Tor. Nach einem
kurzen Blick in einen Graben voller Gleise, in dem gerade die dänische
Gumminase durchfährt, begrüßt uns eine Frau von
der Hamburger Hochbahn AG. Sie erläutert einiges zur Geschichte des
Unternehmens, dann geht es hinunter auf den U-Bahnsteig. Schon kommt unser
Sonderzug angefahren. Nun dürfen wir selber ran. Also: Knüppel
zwischen die Finger und einen fahren lassen... Einige wollen noch in ein Museum, das hat aber schon zu, andere nutzen die Programmlücke für ein Nickerchen oder einen Spaziergang rund um die Binnenalster.
Abends um acht beginnt dann der offizielle
Kennenlernabend im Café Hofgarten im Hotel Königshof. Ein
sehr reichhaltiges und vorzügliches Büffet ist aufgebaut. Besonderen
Zuspruch findet die rote Grütze, ein Phänomen, das uns in den
nächsten Tagen noch öfter auffallen wird. Der Kellner kommt kaum
noch nach, die großen Glasschüsseln heran zu schleppen. Um dreiviertel elf gehen wir schnell noch hinüber ins Hein & Fiete, dem schwul-lesbischen Hamburger Info-Zentrum. Freilich sind wir die einzigen, denn hier gibt es keine Kneipe, keine Bibliothek und keine Gruppenräume, wie wir das von unserem Sub in München kennen. Die Leute kommen nur schnell mal her, um sich ein paar Zettel zu holen, dann verschwinden sie wieder. Bestenfalls bleiben sie eine Viertelstunde für einen Klönschnack mit dem ehrenamtlichen Infodienst. In etwas kleineren Gruppen teilen wir uns zum Szenebummel auf. Die meisten müssen wohl oder übel ihre großen DIN-A4-Umschläge mitnehmen, was beim Betreten der diversen Lokalitäten Neugier und Befremden auslöst. Wenn uns einer fragen würde, was denn da drin ist, könnten wir sagen, dass wir so große Tüten für unsere Kondome brauchen... Aber leider fragt keiner.
Am Samstag vormittag würde eigentlich
das Museum für Hamburgische Geschichte auf dem Programm stehen. Die
große Modellbahnanlage dort ist aber leider geschlossen und der Rest
des Museums findet nur mäßiges Interesse. So wurde bereits am
Abend zuvor ein Alternativprogramm angeboten, das eine doch recht stattliche
Gruppe annimmt: eine Rundreise mit den USA-Bahnen, also U-Bahn, S-Bahn und
AKN.
Für die Teilnehmer der Rundfahrt war nur
Zeit für Fast-Food (was nicht heißen soll, dass das Zeug zum Fasten
geeignet ist, immerhin ist es fast eßbar).
Und schon geht es los zu einer Führung
durch den Hauptbahnhof. Der Referent, der auch schon die vormittägliche
Rundfahrt leitete, ist ein hoher Bahn-Manager, der sich sogar für die
Bahn interessiert und sich damit auskennt. Deshalb legt er einen exzellenten
Vortrag hin, bei dem man allerlei interessante Haupt- und
Nebensächlichkeiten erfährt. Er muss alles immer wiederholen, weil
bei dem allgegenwärtigen Krach auf dem Bahnhof nur ein paar Leute
zuhören können.
An einer Eisdiele wird ein Zwischenstop eingelegt. Gegenüber ist eine Kirche, aus der gerade eine Braut heraus kommt. Ein paar Leute stehen da und ein Pferd, das sogleich von der Braut liebkost wird. Ein Bräutigam ist weit und breit nicht zu sehen. Wir müssen aber weiter, damit wir das Schiff nach Teufelsbrück bekommen. Über gewundene Treppen zwischen den Nobelvillen wagen wir den 60 Höhenmeter-Abstieg zur Elbe hinunter. Mit drei verschiedenen Schiffen (umsteigen in Teufelsbrück und Finkenwerder) erreichen wir bei den Landungsbrücken die Innenstadt. Unter der U-Bahn, die hier eine Hochbahn ist, hupt eine Hochzeitskolonne. Da fragt einer: Ob die auch ein Pferd geheiratet hat?
Ein gemeinsames Abendessen gibt es heute in
der Schifferbörse, danach verteilt man sich in Kleingruppen
in der Szene. Es nieselt kräftig und unsere Gastgeber sagen, das
hätten sie extra bestellt, damit unsere Erwartungen an Hamburg
pflichtgemäß erfüllt werden.
Wir befahren einen Teil des Streckennetzes der Osthannoverschen Eisenbahn (OHE Ohne Hast und Eile). Nach zwanzig Kilometern und zwei Fotohalten erreichen wir den Haltepunkt Schafstall. Nach Programm soll es hier ein gemeinsames Mittagessen geben. Hier? Der Blick schweift umher. Es gibt das Gleis auf dem wir gekommen sind, einen ungeteerten Feldweg, ein gelbes Rapsfeld und etwas Wald. Sogar Ralli hat heute auf seine knallgelbe Jacke verzichtet, weil man ihn sonst im Rapsfeld nicht mehr gefunden hätte. Der Schienenbus bleibt kurzerhand auf dem Gleis stehen, hier ist heute sowieso nichts los. Völlig überraschend erreichen wir nach wenigen Metern durch den Wald ein Ensemble von (diesmal richtigen) Hütten, auf dem Platz dazwischen ein großes Lagerfeuer mit Bänken aus halbierten Baumstämmen drum herum. Unwillkürlich fühlt man sich an die Schlussszene jedes Obelix-Heftes erinnert.
Sonst: das sind Familien mit Kindern, die der Roten Grütze bestimmt auch nicht abgeneigt sind. Da hat die Frau wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu werden eine der großen Fragen der Menschheit aufgehellt: Was unterscheidet Heteros von Schwulen? Wir stellen fest: Noch vor allen anderen Kriterien zeichnet sich der Schwule dadurch aus, dass er Unmengen Roter Grütze verdrücken kann! Nach der Rückfahrt teilt sich die Gruppe: die einen schauen sich das Betriebsgelände der Museumsbahn an, gehen in die Salztherme oder besichtigen das stillgelegte, aber der Spitzhacke entronnene, mechanische Wärter-Stellwerk Lnw. Ein 70-jähriger Bahn-Pensionär erläutert mit glänzenden Augen die ganzen Hebel und deren Zusammenwirken. In einer Stadtführung werden uns noch die touristischen Höhepunkte der Stadt vorgestellt, dann laufen wir eine trostlose Straße hinaus zu einer ehemaligen Pumpstation. Hier ist eine Modul-Modellbahn-Anlage aufgebaut. Das Geländeprofil lässt darauf schließen, dass die Module immer in der gleichen Anordnung aufgebaut werden bzw. einfach zusammen bleiben. Im Gegensatz zur großen Anlage in der Hamburger Speicherstadt wird hier richtig Eisenbahn gespielt. Wer nicht aufpasst, hat sich schnell seinen Bahnhof so zugestellt, dass nichts mehr geht. Draußen ist die Brücke über die Ilmenau und hier rauschen richtige Züge in dichter Folge vorbei. Über diese Brücke und durch einen üppig wuchernden Park kehren wir zum Bahnhof zurück. Alle treffen sich hier wieder um sich gleich wieder zu trennen. Die eine Hälfte fährt auf dem kürzesten Weg zurück nach Hamburg, die anderen lassen sich den Umweg über Büchen nicht entgehen. Unser Bahn-Manager erläutert die Besonderheiten an der Strecke und dem Bahnhof Büchen. Kurz vor 21 Uhr erreichen wir wieder den Hamburger Hauptbahnhof. Doch der Tag ist noch längst nicht vorbei. In der Fabrik in Altona ist heute Gay-Factory, eine der größten regelmäßig stattfindenden schwul-lesbischen Disco-Veranstaltungen in Norddeutschland. Unser Hamburger Fun-Treffen-Organisationsteam hat vorgesorgt: wir können an der endlosen Abendkassen-Schlange vorbeimarschieren, schwule Eisenbahnfreunde, Namen und Heimatstadt sagen und schwupp sind wir drin!
Unten ist der große Dance-Floor und eine
breite Treppe führt zu einer Galerie, von deren Geländer man
lässig auf die herumhüpfende Gesellschaft hinunter schauen kann.
Das Gebäude stammt aus einer Zeit, wo man noch fähig war, auch
Industriegebäuden eine ästhetisch ansprechende Architektur zu
verpassen. Es gibt etliche ruhigere Ecken und einen verglasten Ruheraum,
der aussieht wie eine Kantine und wahrscheinlich auch einmal eine solche
war. Die Musik ist gemischt: von ABBA bis Techno, wobei letzteres am Ende
deutlich überwiegt.
Am Pfingstmontag, dem letzten Tag des
FUN-Wochenendes, steht nur ein einziger Punkt auf dem Programm, die
Abschlussfahrt auf der Elbe. Auf einer Barkasse (Scheckkarten
werden beim Bier-Verkauf nicht akzepiert...) schippern wir über die
Elbe, diverse Hafenbecken und Kanäle. Aufsehen erregt u.a. eine Schleuse,
deren Ausgangstor schon aufgeht, während das Eingangstor noch gar nicht
richtig zu ist. Hier werden auch keine Höhenunterschiede überwunden,
da geht es nur darum, dass Querströmungen zwischen den weit verzweigten
Hafenbecken nicht die Fahrrinnen verschlammen.
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