Urlaub an der Ostsee

Nachtzug nach Kopenhagen mit Kurswagen nach Binz: pünktlich um 19.28 Uhr geht's am Freitagabend los zur Wanderwoche des GOC auf Rügen und Usedom. 7 Münchner, ein Engländer und ein Augsburger verteilen sich auf zwei Liegewagenabteile.
     Während wir über die alte Strecke von Gemünden nach Fulda kurven, wird mit Wein und diversem Knabberzeug die für Liegewagen erforderliche Bettschwere hergestellt. In Fulda werden unsere Kurswagen an den Zug aus Basel angehängt, der gleichzeitig welche zur Weiterfahrt nach Kopenhagen abgibt. Im Zickzack geht es dann durch Ossinesien. Das Liegewagen-Frühstück ist so erbärmlich, daß wir bei einem längeren Aufenthalt in Stralsund Brotzeit bunkern.
     Alle sind hellwach und hängen die Köpfe hinaus, als wir über den Rügendamm, die große Klappbrücke und die interessante Bodden-Landschaft fahren. Weil der Zug viel zu lang für den Bahnsteig in Binz ist, werden wir gleich mit einer Ladung Sand in den Schuhen empfangen.

Nach 10 Minuten sind wir am Hotel, das als Ansammlung schwedischer Landhäuser angelegt ist. Eine mächtige Dame mit wallendem Gewand schwebt vorbei, „Malerin und Besitzerin“ des Hotels.
     Nach kurzer Pause geht's los, erstmal zum Strand. Schnell erreichen wir die Strandpromenade. Auf der einen Seite die mondäne Bäder-Architektur, überwiegend im Stil der Jahrhundertwende, auf der anderen Seite hinter niedrigen bewachsenen Dünen ein breiter Sandstrand mit kitschigen Strandkörben, die man für ein paar Mark mieten kann.
     Wir wandeln die ganze Promenade entlang, vorbei an der hunderte Meter ins Meer hinausragenden Seebrücke bis zum FKK-Strand.
     Die Ostsee hat keine Gezeiten, ist kaum salzig und normalerweise ziemlich friedlich. Bei Seefahrern ist sie dennoch berüchtigt, weil sich bei Sturm das Wasser zu kurzen und kräftigen Wogen aufschaukelt, die besonders in Küstennähe unregelmäßig kreuz und quer laufen, so daß man kein Schiff mehr richtig in die Wellen stellen kann.


Die Skyline von Binz
  
     Wir haben allerdings das herrlichste Wetter das man sich vorstellen kann, die Brandung ist kaum stärker als am Ammersee, das Wasser ist „bacherlwarm“.
     So räkeln sich die einen in der Sonne, die anderen laufen ins Wasser (springen geht nicht), einer buddelt sich bis zum Hals im Sand ein. Nachdem sich alle ausgetobt haben gibt es Mittagessen, danach geht es auf zur ersten Tour.

Auf der Straße tuckern eigenartige „Gummibahnen“ vorbei, als Dampflok verkleidete Traktoren mit einigen Sommerwagen für Touristen. Wie wir im Laufe der Woche feststellen, sind diese Dinger auf Rügen allgegenwärtig und haben stellenweise sogar schon den normalen Linienverkehr verdrängt.
     Unbeirrt von diesen Gefährten wandern wir durch den Wald bergauf zum Jagdschloß Granitz. Das große quadratische Gebäude beherbergt ein Jagdmuseum. Die eigentliche Attraktion ist aber der mächtige Turm in der Mitte. Eine kunstvoll verzierte Eisentreppe windet sich innen hoch, unten paßt einer auf, daß sich nicht mehr als 30 Personen gleichzeitig auf der Treppe befinden.


Jagdschloß Granitz
  
     Nachdem wir uns fast eine Stunde an der überwältigenden Aussicht sattgesehen und einen ersten Überblick über die reich gegliederte Insel gewonnen haben, stärken wir uns im nahen Biergarten.
     Steil abwärts über eine mit „Katzenbuckeln“ gepflasterte Straße gelangen wir mitten im Wald zu einer kleinen Wetterschutzhütte mit Fahrplan, daneben trägt ein riesiges Schild die Aufschrift „Jagdschloß“. Da wir als einzigen Verkehrsweg nur ein Schmalspurgleis entdecken können, das sich in einer langgezogenen Kurve durch den Wald zieht, scheint es sich also hier um einen Bahnhof zu handeln.
     Hier fährt er also, der legendäre „Rasende Roland“. Immerhin hatten wir schon vom Turm des Schlosses aus eigenartige, sich bewegende Rauchwolken erkennen können (zuerst dachten wir an einen Waldbrand).
     Er ist aber gerade weg, und weil sowieso noch eine Tour mit dem „Rasenden Roland“ vorgesehen ist, gehen wir weiter. Irgendwann verlassen wir den Wald und der Wanderweg führt schnurstracks auf eine stark befahrene Bundesstraße. Mangels Alternativen geht es kilometerlang im Gänsemarsch am Fahrbahnrand entlang, während die Autos im Sekundentakt an uns vorbeibrettern. Es ist ein markierter Wanderweg und wir verfluchen die Planer im Landratsamt. Man stelle sich nur vor, eine Familie mit kleineren Kindern läßt sich auf dieses Abenteuer ein...
     Weil der Schmachter See und seine Ufer zum Naturschutzgebiet erklärt und gesperrt sind, kommen wir zwar durch ein idyllisches Dörfchen und durch herrlichen Wald, den See sieht man aber am besten vom Turm des Jagdschlosses.
     Wieder im Hotel angelangt begrüßen wir auch den Rest der Gruppe, der im Laufe des Tages eingetrudelt ist: drei Dortmunder, weitere zwei Engländer und ein Deutscher, der in Brüssel lebt. Somit ist die Gruppe vollständig, wir sind jetzt 14 Personen.

Am Sonntag geht es gleich nach dem reichhaltigen Frühstücksbuffet, von dem sich manche kaum trennen können, los.
     Über die Strandpromenade gelangen wir zu einer Treppe zum Hochufer. Eine lange Wanderung durch den uns vor der tropischen Hitze schützenden Wald bringt uns zum nächsten Ort, dem Ostseebad Sellin. Die hiesige Seebrücke, auf der sich sogar ein Wirtshaus befindet, ist momentan eine Baustelle, wodurch sie wie eine Ölbohrinsel aussieht.
     Auf beiden Seiten daneben erstrecken sich wieder ausgedehnte Strände, freilich auch ein FKK-Strand. Die einen wälzen sich schon wieder im Sand, die anderen erklimmen die lange Treppe zum hochgelegenen Ort, um ein nettes Gasthaus fürs Mittagessen aufzusuchen.
     Gut zwei Stunden später geht es mit dem Bus nach Göhren. Wir landen direkt am Bahnhof, wo gerade ein auf Hochglanz polierter Sonderzug des „Rasenden Rolands“ abfährt.
     Zwischen Bahnhof und Strand ist ein kleiner Jahrmarkt aufgebaut. Nach einem Cafébesuch lauschen wir noch belustigt einer aufgedonnerten Sängerin, die auf der Kurkonzert-Bühne mit kreischender Stimme und großen Lautsprechern Hits der 70er-Jahre präsentiert.


Der Rasende Roland in Putbus
  
     Endlich geht es los: mit dem „Rasenden Roland“ über die ganze Strecke bis zum 24 km entfernten Putbus. Einige lassen sich auf den offenen Plattformen den Fahrtwind – ergänzt durch gelegentliche Kohle-Batzen – um die Nase blasen, andere bleiben im Inneren der mit Dachpappe gedeckten Wagen. Unterwegs steigt eine vom Tamagochi-Fieber befallene Kindergruppe ein. In Binz Ost ist Zugkreuzung. Die Landschaft wechselt, bisher verlief die Trasse hauptsächlich im Wald, die letzten 11 km geht es über Felder und Wiesen. Die nächsten Stationen sind allesamt Bedarfshalte, der Bedarf ist aber offensichtlich so gering, daß der Zugang zum „Bahnhof“ ohne Buschwerkzeug kaum mehr möglich ist. Dafür kann der „Roland“ aber richtig rasen, man hat den Eindruck, daß der Name irgendwie doch seine Berechtigung hat.
     In Putbus liegen der Kleinbahnhof und der sog. Großbahnhof beisammen, außerdem ist hier das Kleinbahn-BW.
  
Der Circus von Putbus
     Nach einem kurzen Spaziergang sind wir im Zentrum dieses künstlich angelegten Orts, dem Circus mit seinen klassizistischen Häusern. Ein Stück weiter gibt es noch ein Theater. Das alles ließ Malte von Putbus um 1810 errichten, seine Nachfolger erheben jetzt wieder Anspruch auf die halbe Insel.
     Wir erkunden den Schloßpark mit seinen seltenen Bäumen und suchen die Reste des 1960 abgerissenen Schlosses.
     Eine kaum befahrene Straße führt zur Küste in Neuendorf. Einen Badestrand gibt es hier nicht. Dafür stehen entlang der Uferstraße lauter hübsch hergerichtete Häuser mit netten Gärten.
     Im rötlichen Licht der untergehenden Sonne fahren wir mit der „Großbahn“ ab Lauterbach und mit dem letzten „Rasenden Roland“ zurück nach Binz Ost.

Der Montags-Ausflug beginnt an der Seebrücke in Binz. Diese Seebrücken sind im Prinzip Anlegestege, die wegen des flachen Wassers ziemlich weit hinausgehen müssen. Freilich ist das auch ein Prestigeobjekt und die Gemeinden buhlen drum, wer die Längste hat...


Eine Seefahrt die ist lustig...
  
     Während der dreiviertelstündigen Schiffahrt nach Sassnitz passieren wir Prora, das mit mehreren Kilometern längste Haus der Welt. Es stammt aus der KdF-Bewegung („Kraft durch Freude“) im Dritten Reich und sollte etliche tausend Ferienwohnungen beherbergen, wurde aber wegen des Kriegs nie vollendet. Im fertiggestellten südlichen Teil befinden sich eine Jugendherberge und etliche Büros, vor der Wende war auch noch die NVA (Nationale Volksarmee der DDR) stark vertreten.
     Bald darauf sehen wir den riesigen Fährhafen Mukran, der die Verbindung zu den östlichen Nachbarländern herstellt. Container-Schiffe und -Kräne, Gleisanlagen, z.T. in russischer Breitspur, eine lange Straßenbrücke und etliche Hütten beherrschen die Szene, insgesamt ein ziemlich trostloses Bild. Der Hafen wird zur Zeit noch ausgebaut, er soll auch die Fähren nach Schweden aufnehmen. Im Januar wird dann leider der alte Fährhafen Sassnitz mit der steilsten Bahnstrecke in „Meck-Pomm“ (Sassnitz Hbf – Sassnitz Hafen) stillgelegt.
     Bevor wir im Fischereihafen von Sassnitz anlegen bestaunen wir noch ein riesiges Wolga-Hotelschiff.
     Gleich am nördlichen Ortsende von Sassnitz beginnt das Steilufer mit seinen markanten Kreidefelsen. Acht Kilometer lang geht der schattige Höhenweg mehr oder weniger direkt an der oberen Felskante entlang. Immer wieder bleiben wir stehen und bewundern das Zusammenspiel der weißen zerklüfteten bizarren Felsen im Sonnenlicht mit dem grün-blauen Meer und dem grünen Laubwald über der Steilküste.
     Jeder Bach hat sich tief in die weiche Kreide geschnitten, wir müssen jedesmal steil hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf. An einer Stelle kann man dem Wasserlauf folgen, bis er in einem (allerdings wegen der anhaltenden Trockenheit recht mickrigen) Wasserfall über den Rest der Felskante stürzt. Direkt daneben führt eine abenteuerliche Leiter hinunter zum steinigen Strand.

Abstieg in den Klippen
  
     Das wiederholte Auf und Ab zwischen Höhe 0 und den über 100 m hohen Klippen läßt die Wanderung zu einer ausgewachsenen Bergtour werden.
     Der Königstuhl (117 m) ist die bekannteste der Klippen. Die Aussichtsplattform kostet allerdings Eintritt und es herrscht ziemliches Gedränge. Deshalb beschränken wir uns auf die benachbarte „Viktoria-Sicht“.
     Nach der nur 10-minütigen Mittagspause an einem Kiosk beginnt die etwas abenteuerliche Reise zum etwa 30 km entfernten Kap Arkona.
     Beim Umsteigen in Altenkirchen erfahren wir, daß der weiterführende Bus erst nach über einer Stunde kommen soll. Man hat kurzfristig den 2-Stunden-Takt um eine Stunde verschoben. Somit fährt auch der letzte Bus eine Stunde früher zurück, so daß wir am Ziel ganze zwei Stunden weniger als geplant zur Verfügung haben.
     Die meisten von uns bauen demonstrativ mitten auf dem Buswendeplatz ein Lager aus Badematten auf. Einige machen einen kleinen Biergarten ausfindig.
     Endlich geht es weiter. Doch die Fahrt endet bereits im letzten Ort vor Kap Arkona, in Putgarten. Die Straße zum Kap ist für den normalen Verkehr gesperrt, der Linienbus fährt auch nicht mehr. Der ganze Verkehr wird stattdessen mit den bekannten „Gummibahnen“ abgewickelt, die einen gigantischen Parkplatz am Ortseingang mit dem Kap verbinden. Unsere Fahrkarten, die bis zum Kap ausgestellt sind, gelten nicht, es wird ein ziemlicher Wucherpreis verlangt. Außerdem ist an der Bushaltestelle keine Einstiegsmöglichkeit, obwohl die Dinger da vorbeifahren. Ob da bei der Konzessionierung dieser „Linie“ alles mit rechten Dingen zugegangen ist?
     So gehen wir die restlichen zwei Kilometer zu Fuß. Unerbittlich brennt die Sonne auf die baum- und strauchlose Landschaft, der leichte Wind bringt keine Kühlung, sondern erinnert an einen Hochofenanstich.
  
Leuchttürme auf Kap Arkona
     Die Reste der uralten slawischen Jaromarsburg mit den Fundamenten des Swantevit-Tempels und die beiden Leuchttürme, von denen der ältere noch von Schinkel geplant wurde, sind die Hauptattraktionen am Kap Arkona. Zwei Treppen führen durch die 40 m hohen Klippen zum steinigen Strand mit seinen bizarren Ruinen verlassener Militäranlagen.
     Eine ausgiebige Einkehr und den Besuch des idyllischen Fischerdorfes Vitt müssen wir wegen des Fahrplanchaos ausfallen lassen.
     Um nicht wieder durch die sengende Hitze laufen zu müssen, fahren die meisten mit der „Gummibahn“ zurück. Da der ohnehin total verspätete Busfahrer nicht weiß, daß er nicht mehr zum Kap muß, fährt er hinter und kommt weitere 10 Minuten später unverrichteterdinge zurück. Durch entsprechende Fahrweise holt er aber die ganze Verspätung herein, so daß wir in Sassnitz den Anschluß-Bus nach Binz noch bekommen.

Am Dienstag geht es nach Hiddensee. Erst mal wieder eine Stunde mit dem Bus, u.a. über eine 10 km lange kerzengerade Allee, nach Schaprode, von dort mit der Fähre auf die Künstlerinsel.


Häuser auf Hiddensee
  
     Das Eiland ist ungefähr 18 km lang und meist nur einige 100 m breit. Die drei Orte sind durch eine Straße verbunden. Es gibt aber keine Autos, der ganze Verkehr wird mit Pferdekutschen und Fahrrädern abgewickelt. Nur ein Bierlaster (den lassen wir gerne vorbei, der vollbringt schließlich gerade eine gute Tat) und ein mit Fenstern beladener Traktor begegnen uns.
     Wir werden nur den nördlichen Teil der Insel besuchen, er ist eindeutig mit seinen hohen bewaldeten Dünen der schönere.
     Mit der Fähre geht es in den mittleren Ort Vitte, von dort wandern wir auf der Straße nordwärts nach Kloster. Die Gruppe teilt sich, manche wollen baden, andere wandern und die der Literatur zugeneigten Teilnehmer besuchen das Gerhart-Hauptmann-Museum.
     Von Kloster geht das Schiff zurück nach Schaprode. Während der Wartezeit auf den Bus besichtigen wir noch die uralte Dorfkirche.

Am Mittwoch ist Faulenzen und Baden angesagt. Dennoch findet sich am Nachmittag die halbe Gruppe am Bahnhof ein, um mit dem Interregio nach Stralsund zu fahren.


Bahnhof Stralsund
  
     Ein kurzer Fußweg vom sehenswerten Bahnhof bringt uns in die Innenstadt. Mit einer der „Gummibahnen“ machen wir eine Stadtrundfahrt mit Erklärungen, die uns zu diversen Kirchen, Stadttoren und zu den alten Speicherhäusern am Hafen führt. Nach einer Kaffeepause erkunden wir die Stadt zu Fuß. Wir bewundern die Marienkirche mit der Stellwagen-Orgel, das Rathaus mit seiner Schaufassade und der Passage, die Nikolaikirche, deren Altar in einem so erbärmlichen Zustand ist, daß die kunstvollen Schnitzereien nur noch zu erahnen sind, die Stadtmauer, das Johanniskloster und etliche renovierte Häuser.
  
Rathaus und Nikolaikirche in Stralsund
     Abseits der Touristenpfade landet man jedoch unvermittelt in Ruinen-Gegenden, die fatal an Bilder aus dem Nachkriegsdeutschland erinnern. Bei genauerem Hinschauen sieht man aber schnell, daß das keine übriggebliebenen Kriegsruinen sind, sondern daß es sich hier um die „blühenden Landschaften“ handelt, die unser Bundeskohl den Ossis versprochen hat. Das Wort „verkohlen“ gewinnt hier eine ganz klare Bedeutung!
     Ziemlich schockiert laufen wir herum zwischen ehemaligen HO-Läden mit zerbrochenen Fensterscheiben, Kinos, in denen das Licht endgültig ausgegangen ist, und mit Nazi-Sprüchen beschmierte Haus-Reste, in denen hier und da noch jemand wohnt, die aber mit dicken Balken gegen das endgültige Zusammenfallen gesichert sind. Die Arbeitslosigkeit ist groß, die alten DDR-Kombinate sind „abgewickelt“, hier neu investieren will in unserer konsumorientierten Welt keiner, schließlich haben die Leute ja kein Geld, für das sie was kaufen könnten...
     Mit dem Abendessen auf der Terrasse des Schweriner Hofs verdrängen wir unsere Eindrücke und genießen danach die Rückfahrt nach Binz durch die laue Sommernacht.

Der Donnerstag steht unter dem Motto „Die Karawane zieht weiter“. Am Vormittag ist nochmal ausgiebig Zeit zum Baden, mit einem gemeinsamen Mittagessen beenden wir unseren Aufenthalt auf Rügen.
     Aber so leicht kommt man hier nicht weg! Der Bus, der uns zum südlichen Ende Rügens bringen soll, hat eine halbe Stunde Verspätung und ist hoffnungslos überfüllt. Nach weiteren 10 Minuten haben wir es irgendwie geschafft zu vierzehnt mit dem ganzen Gepäck reinzukommen und wir wissen, warum der Bus so viel Verspätung hat.
     Eine Stunde später erreichen wir das winzige Dorf Gager. Ein handgemaltes Schild weist zum „Hafen“. Einige Fischkutter gibt es hier, und in der hintersten Ecke entdecken wir einen ebenfalls handgeschriebenen „Fahrplan“, der nur eine einzige Zeile enthält: „18.00 Uhr: Sonderfahrten mit der MS Wolgast“.


Ein Schiff wird kommen... (oder auch nicht?)
  
     Als um halb sieben das seit Wochen bestellte Schiff immer noch nicht da ist, kommt Nervosität auf. Wir entdecken einen kleinen Campingplatz. Die dazugehörige Telefonzelle entpuppt sich aber als leeres Gehäuse. Doch die Campingplatz-Verwalterin kennt den Reeder. Es gelingt, ihn erst an die Strippe, dann zum Hafen zu kriegen. Das Schiff sei ausgefallen und er müsse erst das Schwesterschiff aus Usedom holen. Es sei zwar schon losgefahren, würde aber frühestens in zwei Stunden ankommen, und den letzten Zug in Peenemünde würden wir wahrscheinlich auch nicht mehr kriegen. Dafür bestellt er uns aber zwei Großraumtaxen, die uns „zum Bahntarif“ bis in unser Quartier nach Heringsdorf bringen würden. Er verschwindet wieder und die zwei Stunden sind mit Bergsteigen (Groß Zicker, 66 m) und Wirtshausgehen relativ schnell herumgebracht. Es dämmert schon, als endlich das Schiff kommt.
     Im roten Licht der untergehenden Sonne verlassen wir Rügen, wir machen uns auf dem 30-Personen-Schiff genüßlich breit. Der Schiffsführer lädt uns bereitwillig auf die „Kommandobrücke“ ein, erklärt geduldig das Echolot und die anderen Instrumente und rollt die Seekarten auf, der er selbst nicht braucht, weil er sich auskennt. So schippern wir zwischen rot und grün leuchtenden Bojen und in unterschiedlichem Rhythmus blinkenden Lichtern durch die schwarze Nacht über die spiegelglatte Ostsee. Steuerbord liegt das stillgelegte, aber hell beleuchtete Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald und backbord der Leuchtturm auf der Greifswalder Oje. Alle bleiben auf dem Deck und genießen die Reise und die ausgelassene Stimmung.
     In Karlshagen auf Usedom endet die Fahrt und die zwei Taxen warten bereits.

Am Freitagmorgen geht es zum Strand von Heringsdorf. Die hier eher als auf Rügen anzutreffenden DDR-Plattenbauten hat man mit etwas Farbe und spitzen Dächern versehen, was nicht mal so schlecht aussieht. Um zur Seebrücke zu gelangen muß man erst einmal durch ein neues Einkaufszentrum. Auch hier gibt es Strandkörbe und einen breiten Strand, dessen Sand hier noch feiner zu sein scheint.


Die Seebrücke in Heringsdorf
  
     Wir wandern entlang der Strandpromenade vorbei an etlichen alten Häusern im Ostseebäderstil. In Ahlbeck übersehen wir fast die Seebrücke, das Café auf dem Steg ist so groß, daß man gar nicht merkt, daß es dahinter noch weitergeht. Die Häuser werden weniger, die Promenade geht in einen einfachen Weg über, der den Strand vom Wald trennt. Nach zwei Kilometern führt der Weg in einem Knick rechts in den Wald. Vor uns ist Polen. Die Betonplatten auf dem Weg künden noch von Zeiten, als schwere Fahrzeuge die Grenze bewachten.
     Wir gelangen auf einen riesigen Parkplatz. Imbißstände, Händler mit irgendwelchen Souvenirs und besonders die lange Menschenschlange vor der Grenzübergangsstelle nach Polen beherrschen die Szene. Auf der anderen Seite ebenfalls einige Stände, dahinter geht der Wald weiter. Die Grenze ist für den normalen Verkehr gesperrt, drüben ginge es mit Bussen oder Pferdekutschen weiter. Angesichts der langen Schlange lassen wir den von unseren Rauchern wegen den billigen Zigaretten favorisierten Polen-Kurztrip ausfallen. Stattdessen begeben wir uns zum nagelneuen Bahnhof der Usedomer Bäderbahn.
     Die Strecke zwischen Ahlbeck und Ahlbeck Grenze wurde erst im Juni eröffnet. Eigentlich würde die Strecke hier weitergehen: ein kurzes Stück durch Polen zur Karniner Hubbrücke, von der nur noch Fragmente im Wasser stehen, dann weiter zur Hauptstrecke nach Berlin. Durch die Sprengung der Brücke kurz vor Kriegsende und die neue Grenze nach Polen wurde aus der Bahn ein Inselbetrieb.

Ferkeltaxentreffen in Heringsdorf (alle 40 Min.)
  
     Vor einigen Jahren hat man etliche modernisierte „Ferkeltaxen“ herübergebracht, die jetzt die beiden Strecken im 40-Minuten-Takt bedienen. Aufgrund der länglichen Form der Insel läßt sich das Verkehrsaufkommen leicht bündeln, die Züge sind immer gut gefüllt.
     Wir fahren zurück nach Heringsdorf. Zum Mittagessen besteigen wir einen kleinen Berg, dort lädt ein bewirtschaftetes Forsthaus mitten im Wald zum Verweilen ein.
     Am Nachmittag trennt sich die Gruppe, die meisten baden am Strand, einer geht auf Ferkeltaxen-Safari.
     Zu unserem letzten gemeinsamen Abend kommen nochmal alle mit: es geht mit der Bahn nach Koserow. Der sagenumwobene 56 m hohe Streckelsberg, eine bewaldete Sanddüne, schirmt den Ort vom Meer ab. In der Nähe des Gipfels liegt ein Beton-Turm, der aussieht, als hätte ihn ein gigantischer Riese einfach weggeworfen. Das war einmal ein Flak-Turm aus dem Zweiten Weltkrieg, der igendwann gesprengt wurde, dabei aber nur umgefallen ist.
     Inzwischen dämmert es und der Blick von hier oben fällt auf einen herrlichen und völlig menschenleeren Strand. Nach einem kurzen aber sehr schönen Spaziergang entdecken wir einen netten Biergarten, in dem wir bis zur Abfahrt des letzten Zuges bleiben.

Die Rückfahrt nach München entwickelt sich zu einem besonders spannenden Abenteuer. Um 10.30 Uhr soll der Bus nach Anklam fahren. Nach über einer Stunde Aufenthalt würde es mit Interregio bis Naumburg, dann mit dem letzten Intercity nach München weitergehen. Unsere nördlicher angesiedelten Freunde würden etwas eher über Stralsund und Hamburg fahren.
     Nach einer halben Stunde an der Bushaltestelle kommt Unmut auf. Über die Telefonnummer auf dem Fahrplan erfahren wir, daß die Brücke bei Anklam wegen eines Unfalls gesperrt ist und die ganze Gegend in einem gigantischen Auto-Stau versinkt. Der Bus würde mindestens noch eine Stunde brauchen bis er kommt, ein anderer Bus käme auch nicht durch.
     Wir trennen uns. Die nördlichen Freunde versuchen sich per Taxi nach Anklam durchzuschlagen, wir werden mit der Bahn nach Wolgast fahren und wegen des ungünstigen Anschlusses nur die Lücke bis Züssow mit dem Taxi zurücklegen. Wir bestellen schonmal das Taxi nach Wolgast Fähre, denn es wird äußerst knapp werden. Die Dame am Telefon weist uns aber darauf hin, daß wegen einer defekten Hydraulik an der neuen Klappbrücke auch hier die ganze Gegend zugestaut ist. Damit sind beide Festlandsverbindungen dicht. Langsam beschleicht uns das typische Robinson-Gefühl.
     Obwohl unser Schienenbus fast pünktlich in Heringsdorf losfährt, haben wir bis Wolgast Fähre 13 Minuten Verspätung. Jetzt aber rein in die beiden Taxis, die Brücke senkt sich gerade. Weil die Ausfahrt vom Bahnhof auf die Hauptstraße kurz vor der Brücke ist, sind wir im Stau ganz vorne. Mit „Affenzahn“ geht es durch die verwinkelsten Straßen von Wolgast, denn alles andere ist völlig zu. Der entgegenkommende Stau reicht 17 km bis kurz vor Züssow. Eine Minute vor Abfahrt unseres Interregio erreichen wir den Bahnhof. Dort entdecken wir den Rest unserer Gruppe. Beim Versuch, nach Anklam zu kommen sind sie wie alle anderen Autofahrer auch steckengeblieben und nach einigem nutzlosen, aber teurem Herumgekurve auch hier gelandet. Deren Regionalexpreß hat eine halbe Stunde Verspätung, sie werden den Interregio in Stralsund nicht mehr erreichen. Als der RE kommt, können wir gut den Grund der immensen Verspätung beobachten: der Zug hat normalerweise nur eine Minute Aufenthalt, das Aus- und Einladen von Fahrrädern in den Gepäckwagen dauert aber fast 10 Minuten. Während der ganzen Zeit wartet unser Interregio, der bisher pünktlich war, vor dem Bahnhof auf die Einfahrt.
     So fahren wir denn auch mit gut 10 Minuten Verspätung ab, sind aber froh, den Zug überhaupt erwischt zu haben. Kurz vor Mitternacht erreichen wir München, ziemlich geschafft, aber mit dem Gefühl, eine herrliche Woche erlebt zu haben.